Am Point Alpha
Auf Beobachtungsposten in der Rhön / Kalter Krieg und Grünes Band / Eine deutsch-deutsche Geschichte
Von Günther Koch/Life-Magazin
Seit 1985 ist der Beobachtungsturm im früheren US-Camp aus Beton, vorher war er aus Stahl, davor aus Holz. Fotos: Koch
Rasdorf/Geisa - Hier also! Auf einer Bergkuppe auf gut 410 Metern Höhe. An der Landstraße 3170 zwischen Rasdorf im hessischen Landkreis Fulda und Geisa im thüringischen Wartburgkreis. Mit weitgehend freiem Blick im „Land der offenen Fernen“. In der Rhön. Wo sich an der bis zur Wende 1989 einst tödlich-befestigten deutsch-deutschen Grenze mit der DDR und der Bundesrepublik zwei unterschiedliche Welten, Systeme und militärische Blöcke über mehr als vier Jahrzehnte mehr oder weniger feindselig fast Auge in Auge gegenüber standen. Wo jederzeit im sogenannten Fulda Gap, der Fuldaer Lücke, der Dritte Weltkrieg hätte ausbrechen können. Am Point Alpha, dem ersten von damals insgesamt vier der Observierung dienenden Beobachtungsstützpunkte der Amerikaner an der innerdeutschen Demarkationslinie.
In Rasdorf auf der hessischen Seite
Rasdorf ist die Point-Alpha-Gemeinde auf hessischer Seite. Der Ort zählt rund 1560 Einwohner. Die katholische Stiftskirche gilt als eine der architektonisch bedeutsamsten dörflichen Gotteshäuser in Hessen. Der gepflegte grüne Anger davor, einst Gerichts- und Pferdeumspannplatz für Kaufleute, soll von seinen Ausmaßen her sogar der größte im Bundesland sein.
Erst Josefsbrunnen, dann Abzweig zum Camp
Der Josefsbrunnen ist Blickfang auf Rasdorfs zentralem Dorfplatz, an dem sich auch die Gemeindeverwaltung befindet. Auf halber Strecke ins gleich benachbarte Thüringen zweigt links der breit asphaltierte Weg in ein Waldstück zum früheren US-Camp Point Alpha ab. Geradeaus geht es zum "Haus auf der Grenze", das Teil des Point-Alpha-Gesamtkomplexes ist.
US-Flagge weht noch immer über dem Appellplatz
Hinter einem Drahtzaun vermittelt der Blick ins Wachhaus einen ersten Einblick in den ehemaligen Stützpunkt der US-Armee, die nach dem Mauerfall diesen Standort 1991 geschlossen hat. Über dem mit Gras versehenen Antrete- und Appellplatz weht in der Mahn-, Gedenk- und Begegnungsstätte Point Alpha noch immer die US-amerikanische Flagge.
Warnung sogar extra noch in großen Buchstaben
Nur 50 Meter! Warnungen auf die unmittelbare Nähe der Grenze sind selbst im Camp zu Zeiten des Kalten Krieges offenbar notwendig gewesen. Die Amerikaner haben dafür sogar extra nur große Buchstaben benutzt. Kampfpanzer wie der M60, Militärlaster wie der M35 und Hubschrauber wie die Bell UH-1D, Spitzname "Huey", sind ebenfalls zu sehen.
Zum Dank für den Dienst für Frieden und Freiheit
Dieses Denkmal "Zum Dank für den Dienst der Amerikaner für Frieden und Freiheit an der deutsch-deutschen Grenze" ist im Jahr 2000 eingeweiht worden. Die nach wie vor geöffnete Snackbar "Black Horse Inn" ist nach einer Einheit benannt, dem 11th Armored Cavalry Regiment, dessen Soldaten auch hier am Point Alpha ihren Dienst versehen haben.
Tankstelle nah am Zugang zum Munitionsbunker
Großformatige Bilder und Schautafeln informieren in den noch vorhandenen Baracken der Soldaten unter anderem über Begegnungen der Amerikaner mit der deutschen Bevölkerung und die Hilfe beim Wiederaufbau Europas. Die kleine Tankstelle im Camp befindet sich seltsamerweise doch ziemlich nah am Zugang zum Munitionsbunker des Lagers.
Denkmal zur Teilung und zur Wiedervereinigung
Von der Aussichtsplattform des Beobachtungsturms der Amerikaner kann man noch heute den Blick weit über das sanfte Tal- und Hügelland der Rhön schweifen lassen. Das Denkmal für die Teilung und Wiedervereinigung Deutschland gibt es seit dem 13. August 2000. In den Sockel sind unter anderem auch Akten von der Stasi und Mauerstücke eingearbeitet.
Für die Stiftung: "Zeugen der Unmenschlichkeit"
Der Grenzpfosten draußen vor dem Camp wirkt schon etwas verwittert. Hat man ihn hinter sich gelassen, zeugen laut der Point-Alpha-Stiftung, der eine Akademie angeschlossen ist, original erhaltene DDR-Grenzanlagen bis in die 1980er-Jahre hinein von der Unmenschlichkeit der Teilung - bis hin in diesem Fall zur angedeuteten Laufseilanlage für Hunde.
Todesstreifen, Schlagbaum, Demarkationslinie
Der Kolonnenweg führte hinter dem Todesstreifen auf östlicher Seite an den unterschiedlichsten Sperranlagen und ebenfalls Beobachtungstürmen vorbei. Die sowjetischen Besatzungstruppen haben Schlagbäume mit der russischen Aufschrift für Stopp oder Halt damals an allen Straßen und Wegen errichtet, die die Demarkationslinie querten.
Sogar mit Splitterminen an Betonpfeilern
Auch Stacheldrahtzäune vom ein- über den doppelreihigen bis hin zu solchen, an deren Betonpfeiler Splitterminen gleich in drei verschiedenen Höhen angebracht waren, sollten helfen, jegliche Art von Fluchtversuch zu verhindern. Kleine Beobachtungsbunker dienten nachträglich dazu. grenzsichernde Straßen und Kfz-gängige Grenzabschnitte zu sichern.
Das "Haus auf der Grenze" gehört dazu
Das ebenfalls zum Point-Alpha-Gesamtkomplex gehörende "Haus auf der Grenze" greift auch die "Niemand hat die Absicht, eine Mauer zu bauen"-Versicherung von SED-Zentralkomitee-Generalsekretär Walter Ulbricht aus dem Jahr 1961 auf, die sich schon wenig später als Lüge herausstellte. Vor dem Eingang ist ein bemaltes Stück der Mauer platziert.
Frieden, Freiheit und der Kübeltrabant
Neben dem "Haus auf der Grenze", das Ausstellungen auch zum Thema Freiheiten und zum Biospärenreservat Rhön zeigt, schraubt die Friedensspirale mit den Worten Frieden, Peace und Mir die entsprechende Botschaft in den Himmel. Drinnen darf der 26-PS-Kübeltrabant, gefahren von der Nationalen Volksarmee und den DDR-Grenztruppen, nicht fehlen.
Bis zum Moment, als das Regime stürzte
Mit Foto-, Schriftdokumenten und Waffenexponaten geht das "Haus auf der Grenze" auch auf das Thema Grenze im Kalten Krieg ein. Zeitzeugen erzählen vom Alltag, von Flucht, Vertreibung, dem Moment, als das Volk 1989 das DDR-Regime stürzte - und Deutschland und Europa auch hier "bis zum 22. Dezember 1989 um 11 Uhr" geteilt gewesen sind.
Zum Gedenken an den Widerstand
Auf dem ehemaligen Kolonnenweg schließt sich der 1,4 Kilometer lange "Weg der Hoffnung" mit 14 monumentalen Skulpturen an, die den früheren Todesstreifen markieren. Der Weg ist von der Point-Alpha-Stiftung mit Sitz im Schloss Geisa zum Gedenken an den Widerstand gegen die kommunistischen Diktaturen in Mittel- und Osteuropa errichtet worden.
In Geisa auf der thüringischen Seite
Geisa, die Point-Alpha-Gemeinde auf thüringischer Seite, zählt rund 4800 Einwohner, verfügt über ein malerisches Rathhaus. Das Bild auf einer Hausfassade im Ortskern könnte man sicher auch gut mit dem Grünen Band verbinden, Brachflächen im früheren Todesstreifen, auf denen sich wertvolle Biotope längs durch Deutschland entwickeln.
Info Point Alpha
Der Beobachtungsposten in der Rhön diente der NATO lediglich der Observation am fast westlichsten Punkt der damaligen DDR und damit des Warschauer Pakts. Das Gelände im Zentrum der Fulda Gap genannten, von Herleshausen bis Bad Neustadt reichenden Verteidigungslinie, an der der Westen im Ernstfall mit die Invasion der östlichen Truppen erwartet hätte, ist der US-Armee 1965 überlassen worden. Die Kuppe bot erhöht einen guten Überblick über das angenommene vorderste Aufmarschgebiet im Ulstergrund und günstige geografische Bedingungen zum Abhören des Funkverkehrs aus Richtung Osten. Etwa 40 Panzeraufklärer sind jeweils für vier Wochen im Camp stationiert gewesen, in Krisensituationen bis zu 200. Nach der Wende ist der Standort 1991 aufgegeben worden. Die von der Point-Alpha-Stiftung getragene Mahn-, Gedenk- und Begegnungsstätte setzt sich neben dem Camp noch aus den Grenzanlagen, dem Ausstellungs-„Haus auf der Grenze“, dem „Weg der Hoffnung“ im früheren Todesstreifen und dem Wiesenfelder Turm zusammen, der Führungsstelle der Grenzkompanie Geisa, deren Auftrag es auch war, Fluchtversuche zu verhindern. Information: Gedenkstätte Point Alpha, Platz der Deutschen Einheit 1, 36419 Geisa, Telefon 06651-919030, www.pointalpha.com.
Info Rhön
Das Mittelgebirge erstreckt sich im Grenzgebiet über Teile der Bundesländer Hessen, Bayern und Thüringen. Mit 950 Metern stellt die Wasserkuppe, der „Berg der (Segel-)Flieger“, die höchste Erhebung dar. Seit 1991 ist die Rhön Unesco-Biosphärenreservat zur nachhaltigen Entwicklung der Region im Einklang zwischen Mensch und Natur. Es gibt die Hoch- und die Kuppenrhön. Bekanntere Städte und Gemeinden sind etwa Bad Brückenau, Dipperz, Eiterfeld, Hausen, Hilders, Hofbieber, Poppenhausen, Tann und Wildflecken. Zu den touristischen Zielen gehören Burgen, Ruinen, Baudenkmäler, dazu etwa die stadtähnliche Siedlungsanlage Milseburg, der Duftwald in Bad Kissingen, das Fränkische Freilandmuseum in Fladungen, Kloster Kreuzberg, Rotes Moor, Schwarzes Moor sowie der Wildpark in Gersfeld und der in Klaushof. Die Rhön eignet sich vor allem zum Wandern und zum kulinarischen Genießen bodenständiger regionaler Gerichte wie Rhönschaf, Rhönforelle, Krempelsopp, Dätscher, Flurgönder oder Zwibbelsploatz. Heimische Obstbrände schmecken herzhaft, das heimische (Apfel-)Bier ist süffig, edle Tropfen kommen aus den Weinbergen rund um Hammelburg. Information: Rhön Tourismus & Service, Wasserkuppe 1, 36129 Gersfeld, Telefon 06654-918340, www.rhoen.de.
Service Auto
Wer mit dem Wagen ins hessisch-thüringische Grenzgebiet fahren will: Die Region, früher Zonenrandgebiet, ist über mehrere Autobahnen sehr gut angebunden. Es sind dies die A4, die A5 und die A7. Von Fulda aus sind es nordöstlich noch knapp 30, von Eisenach aus westlich noch gut 50 Kilometer. Die beiden Point-Alpha-Gemeinden Rasdorf und Geisa liegen vielleicht vier Kilometer auseinander, wobei sich Point Alpha selbst etwa auf halbem Weg auf einer Anhöhe direkt an der Landstraße befindet. Eine der bekannteren Städte gleich in der Nähe dürfte Hünfeld sein – neben Fulda, das als ICE-Station auch der wichtigste Bahnknotenpunkt für die Gegend ist. Der nächste internationale Großflughafen ist etwa 150 Kilometer entfernt der in Frankfurt/Main, angebunden abschnittsweise über die A3, über die A45 und über die A66.
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KoCom/Fotos: Günther Koch
1. Juli 2020