Qualität statt Quantität
Im Süden Südtirols (IV): Der Wein / Sogar Kalterersee-Charta für gute Tropfen / Selbstverpflichtung zählt
Von Günther Koch/Life-Magazin
Bei der Pergel handelt es sich um eine traditionelle Südtiroler Methode des Rebenanbaus. Foto: Koch
Kaltern – Es hat Zeiten gegeben, da hat der Wein vom Kalterer See nicht gerade den besten Ruf gehabt. „Zu schwer trägt die Region noch immer am Ruf des vor allem aus der Vernatsch-Traube gekelterten Weins als billiges Liter-Flaschen-Gesöff“, befand damals der auf Weinerkundung durch Südtirol befindliche Autor eines 2017 veröffentlichen Beitrags im Internet, fuhr dabei verbal ganz schönes Geschütz auf und stellte fest, als Winzer in Kaltern habe man es nicht leicht … Doch die Billigwein-Zeiten sind längst vorbei – auch dank einer ungewöhnlichen Initiative, der Kalterersee-Charta.
Weinlagen gibt's selbst in Kalterer Zentrumsnähe. Weinbauern-Figur mit blauer Südtiroler Schürze um.
Soweit das Auge reicht
Wir sind im mediterranen Süden von Südtirol. Weinlagen und Obstplantagen zu Füßen hoher Berge in langgestreckten Tälern soweit das Auge reicht. Es ist September. Die zweite Hälfte des Monats. Auf der Luftlinie 42, insgesamt 150 Kilometer langen Südtiroler Weinstraße von Nals durchs Land über der Etsch, italienisch Alto Adige, und durchs Unterland bis nach Salurn herrscht reger Betrieb. Dazwischen reihen sich die übrigen Weinstraßen-Orte Terlan, Andrian, Südtirols Landeshauptstadt Bozen, Eppan, Kaltern, Pfatten, Branzoll, Tramin, Auer, Montan, Neumarkt, Kurtatsch, Margreid und Kurtinig aneinander. Aufgezogen wie auf einer Kette. Eine Perle nach der anderen. Das Klima in der Region ist mild, kontinental. Wenn es kälter wird, in höheren Lagen auch alpin. Sonnentage pro Jahr soll es laut Weinstraßen-Vereinigung, der neben den 16 Mitgliedsorten auch noch 70 Mitgliedskellereien angehören, rund 300 geben. Die einzelnen Höhenlagen der 4400 Hektar Rebfläche im größten Anbaugebiet der Region zwischen Dolomiten und Zypressen reichen von 200 bis 1000 Metern hinauf. Weiß- und Blauburgunder sollen sich inzwischen ebenfalls hier heimisch fühlen. Auch Chardonnay, Cabernet Sauvignon, Merlot und Ruländer als Pinot Grigio werden in der Region kultiviert.
Hier geht’s sowohl zum Kalterer See (rechts) wie auch in Richtung des Frühlingstals bei Kaltern.
Pergel ist mehr als nur Tradition
Eine Wanderung durch die Weingärten unten rund um den Kalterer See. Wir treffen einen Weinbauern mit einer für Südtirol typischen blauen Schürze um. Er erklärt, was es mit der in dieser Gegend traditionellen Methode des Weinanbaus auf sich hat, der Pergel: Ursprünglich soll das ganze System aus Holz bestanden haben. Bis Drahtpergel eingeführt, Holzpfähle allmählich durch solche aus Beton ersetzt und, mit bäuerlichem Erfindungsgeist, Varianten wie Doppel- oder Halbbogenpergel entwickelt worden sind – alles mit dem Ziel, dieses „Erziehungssystem“ an senkrecht eingeschlagenen Pfählen mit waagerecht angebundenen Stangen bestmöglich an Geländeform, Sonneneinstrahlung und rationelle Bearbeitung anzupassen und so auch den Weinhandel zu unterstützen. Durch die Pergel könnten die Böden unter dem Laubdach die Feuchtigkeit besser speichern und die Trauben bei Bedarf noch effektiver schützen, sagt der Weinbauer.
Auch Südtiroler Kaminwurz kann zum richtigen Wein passen. Alter Weintraktor am Kalterer See.
Ein Streifzug durch die Geschichte
Szenenwechsel. Eine Weinlage des Weinguts Castel Sallegg beim Busbahnhof von Kaltern in unmittelbarer Nähe zum Zentrum. Schautafeln weisen an verschiedenen Stationen auf die Weinbau-Geschichte hin. Ein Streifzug in aller Kürze:
Wegkreuz am See. Wie wär’s mit Lagrein, Kalterersee, Chardonnay oder Gewürztraminer?
Anfänge vor 8000 Jahren in Georgien
Die Rebkultur breitet sich zeitlich noch weit vor der Antike vor etwa 8000 Jahren vom heutigen Georgien über Syrien, Mesopotamien und Ägypten aus. Die Phönizier bringen sie nach Griechenland. Durch die griechische Kolonialisierung rund ums Mittelmeer gelangt sie nach Italien und Südfrankreich. Die Römer sorgen für die Weiterverbreitung in Europa. Nach herben Rückschlägen im Zuge der Völkerwanderung beleben Klöster ab dem 10. Jahrhundert den Weinbau neu. Aus Amerika gelangen Schädlinge und Krankheitserreger in europäische Weinberge, führen zu katastrophalen Schäden. Und schließlich, so um die 1970er-Jahre herum: „Nach Skandalen und Krisen setzt sich der Qualitätsgedanke mehr und mehr durch. Wein wird nun allen Gesellschaftsschichten zugänglich. Der Weltweinhandel entwickelt sich explosionsartig.“
Gesehen an einem Haus in Tramin. Weinrelief der Kellereigenossenschaft im Ort.
Hanglagen im Hügel- und Bergland
Beste Voraussetzungen, um Qualitätswein zu erzeugen, finden sich laut den Sallegg-Experten geografisch zwischen dem 30. und 50. Breitengrad auf der nördlichen Erdhalbkugel und zwischen dem 30. und 40. auf der südlichen. Wein wird demnach in der Regel zwischen 50 und 600 Metern Meereshöhe angebaut, in besonderen Fällen wie Südtirol aber eben auch von bis zu 1000. Reben benötigten wenigstens 1600 Sonnenstunden im Jahr samt mindestens acht Grad Celsius Temperaturdurchschnitt, der während der Vegetationsperiode nicht unter 16 Grad liegen sollte. Große Tag/Nacht-Temperaturunterschiede wirkten sich zudem positiv auf die Qualität des Weins aus. Besonders eigneten sich Hanglagen im Hügel- und Bergland wegen größtmöglicher, aber wiederum auch nicht zu intensiver Sonneneinstrahlung.
Ein leichter Rosé zu leichter Kost. Korkenvoller Wegweiser zu Degustation und Verkauf.
Eine besondere klimatische Situation
Italiens nördlichste Region gilt als das älteste Weinanbaugebiet im deutschsprachigen Raum. Funde belegen demnach, dass hier bereits 500 vor Christus Wein angebaut worden ist. Heute verfügt Südtirol den Angaben zufolge über insgesamt 5300 Hektar Rebfläche, kann dadurch jährlich bis zu 330 000 Hektoliter Wein produzieren, bis auf zwei Prozent alle entsprechend klassifiziert. Durch die Lage südlich des Alpen-Hauptkamms ergebe sich eine besondere klimatische Konstellation: Die Alpen schützten vor kalten Nordwinden, aus dem Süden strömten milde, mediterrane Einflüsse ein.
Klar, das Fass darf bei der Weinbaukellerei nicht fehlen. Lieber Schinken oder Käse?
Traminer, Lagrein und Vernatsch
Ganz kurz noch zu den drei wichtigsten heimischen Sorten: 1) Gewürztraminer. Wie der Name schon andeutet aus Tramin. Anbau im Unterland, aber auch in anderen Weinzonen Südtirols. Soll schon im 13. Jahrhundert im deutschsprachigen Raum ein Begriff gewesen sein. Duftspektrum mit Noten von Rosenblättern, Nelken, Litschi und tropischen Früchten. Intensive Farbe. Relativ hoher Alkoholgehalt. Üppige Textur. Der, wie er beschrieben wird, „Meditationswein schlechthin“. Weißwein-Empfehlung zu asiatischen Gerichten, Krustentieren, Gänseleber, Pasteten, Desserts und Käse. 2) Lagrein. Anbau im Bozener Talkessel, Unterland, Überetsch und Etschtal. Rote Südtiroler Leitsorte. Waldbeeren-, Kirsch- und Veilchenaromen, dazu edle Würznoten durch Ausbau in kleinen Eichenholzfässern. Charaktervoll. Am Gaumen samtige Fülle und weiche Säure. Rotwein-Empfehlung zu Wild, dunklem Fleisch und Hartkäse. Der Rosé ist als Lagrein-Kretzer bekannt. 3) Vernatsch. Anbau in ganz Südtirol. Soll schon seit dem 16. Jahrhundert zentrale Rolle im regionalen Weinbau spielen. Kaum Gerbstoffe. Moderater Alkoholgehalt. Charakter individuell, gebietstypisch. Als St. Magdalener füllig, als Kalterersee weich, als Meraner würzig. Rotwein-Empfehlung zu Vorspeisen, Speck, Wurst, Käse, Hausmannskost und Kalbfleisch.
Die Vernatsch-Traube wird in ganz Südtirol angebaut. Logo der Kalterersee-Charta.
„Gemäß rigorosen Bestimmungen“
Bliebe noch die Charta. Seit 2010 in Kraft, trägt sie in der Region um Kaltern im Rahmen der Initiative „Wein.Kaltern“ zur Aufwertung der Kalterersee-Weine bei, Motto Qualität statt Quantität. Mit der Charta verpflichten sich die Kalterer Winzer ihre Weine als „höchste Qualität gemäß den rigorosen Bestimmungen der Charta“ herzustellen, die Vereinbarung zur Qualitäts- und Imageförderung des Kalterersee „gewissenhaft einzuhalten und entsprechend zu kontrollieren“. Eine Fachjury prüft die Weine in Blindverkostungen. Nur nach positiver Bewertung dürfen diese Weine dann das Qualitätssiegel der Charta tragen, erhalten eine mit dem Charta-Logo gekennzeichnete Kapsel, die die „Unverwechselbarkeit dieser Qualitätsweine garantiert“. Aufbauend auf der Qualität der Kalterersee-Weine ist die Charta nun dabei, sich auch noch zum Herkunftssiegel zu erweitern, das die Lagen der Kalterer Weinproduzenten rund um den Kalterer See umfasst. „Die höchste Qualität der Kalterersee-Weine gepaart mit Unverwechselbarkeit dank ihrer Herkunft.“ Alles wohl auch deshalb, damit sich die Zeiten von damals, als die Weine vom Kalterer See viel Kritik einstecken mussten, nicht wiederholen.
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Info Südtirol I
Die (zusammen mit Bozen) autonome Provinz Südtirol, 1919 zu Italien gekommen, ist die nördlichste des Landes. Sie grenzt an Österreich, an Nord- und Osttirol, dann an Venetien und die Lombardei sowie an den Schweizer Kanton Graubünden, ist 7400 Quadratkilometer groß, zählte zuletzt mehr als 532 600 Einwohnerinnen und Einwohner, die vor allem Deutsch und Italienisch, in wenigen Gegenden aber auch sogar noch Ladinisch sprechen. Landeshauptstadt ist Bozen, höchster Berg mit 3343 Metern die Marmolata, wichtigster Fluss die Etsch. Das Klima ist kontinental, meist gemäßigt und angenehm mild, im Sommer nicht zu warm, im Winter nicht zu kalt, in höheren und höchsten Lagen wie den Dolomiten dann aber doch alpin. Beste Reisezeiten sind Frühling, Sommer und – nicht zuletzt wegen der Weinlese – Herbst.
Info Südtirol II
Kulinarische Spezialitäten reichen etwa von Speck und Knödel über Ravioli-ähnliche Schlutzkrapfen sowie die einer gemischten Wurst-, Schinken-, Käseplatte ähnliche Marende mit Schüttelbrot bis hin zum bekannten Strudel und Kaiserschmarrn. Südtirol ist Weinland. Dazu gehören im Süden Südtirols etwa die weißen Vernatsch, der Lagrein-Rosé und der Rote vom Kalterer See. Mit dem im Zimmerpreis der teilnehmenden Betriebe enthaltenen Gästepass ist es möglich, auch in Kaltern und an der Weinstraße öffentlichen Verkehrsmittel wie die Mendelbahn kostenlos zu nutzen. Information: Südtirol-Tourismus, Pfarrplatz 11, 39100 Bozen, Südtirol/ItalienTelefon 0039-(0)-471094000, www.suedtirol.info.
Info Kaltern
Als Möglichkeit zur Einquartierung empfehlen können wir für einen Aufenthalt im Süden Südtirols in Kaltern das Designhotel Panorama & Dependance (vier Sterne, 38 Zimmer/Suiten, noch oberhalb des dörflichen Zentrums gelegen mit Blick auf die Marktgemeinde und die andere Talseite gegenüber, inspiriert von der örtlichen Weinkultur, Motto „Zwischen Design und Wein“, genauso modern-minimalistisch wie praktisch-funktionell, dank Eichenholz-Verwendung helle und freundlich-gemütliche Anmutung, Spa sowie Pool-Garten mit mediterraner Vegetation, www.designhotel panorma.com). An Lokalitäten mit besonderem Charakter bieten sich in Kaltern die Jausenstation Drescherkeller am Maria-von-Buol-Platz 3, das Landgasthaus Gasthaus Schwarzer Adler am Krumbachweg 15 und der Torgglkeller am Bichl 2 an. Information: Tourismusverein, Marktplatz 8, 39052 Kaltern am See, Südtirol/Italien, Telefon 0039-(0)-471963169), www.kaltern.com.
Service Anreise I
Wer mit dem Auto aus Deutschland anreist: Für die Strecke ab Innsbruck nach Kaltern über die Brennerautobahn A22, Ausfahrt Bozen-Süd, Ausfahrt Eppan und dann weiter die Weinstraße entlang sollte man noch etwa 135 Kilometer oder eindreiviertel Stunden Fahrzeit einplanen. Über den Reschenpass geht’s über Meran und Bozen. Auch Busverbindungen von Deutschland aus gibt es. Bozen ist Bahnknotenpunkt. Von dort verkehren Busse dann regelmäßig nach Kaltern. Nächstgrößere Flughäfen über Bozen hinaus sind auch mit internationalen Verbindungen Innsbruck, Bergamo und Verona.
Service Anreise II
Ein Aufenthalt im oberbayerischen Lenggries bei Bad Tölz hat unsere in diesem Fall relativ lange Anreise von fast 720 Kilometern wenigstens auf zwei Tage verteilt. Der 10 500-Seelen-Voralpenort wartet mit Geierstein (1491 Meter), Brauneck (1556 Meter), Eng-Alm (1277 Meter), Heimatmuseum, Schloss Hohenburg, dem letzten bestehenden Lenggrieser Kalkofen, dem Barock der Jakobs- und der Moderne der Waldkirche sowie dem Sylvensteinspeicher auf. Einzel-/Doppelzimmer sind aktuell ab 55/85 Euro pro Person/Nacht zu haben im Gästehaus Heiß (www.gaestehaus-heiss.de), einem altes Flößerhaus aus dem Jahr 1619 im urig-gemütlichen Landhausstil.
KoCom/Fotos: Günther Koch
12. November 2024