Der mediterrane Teil
Im Süden Südtirols (I): Die Region / Auf der Strada del Vino hier von Eppan über Kaltern und Tramin bis Neumarkt
Von Günther Koch/Life-Magazin
In Kaltern: Der Weinberg vorn, der Busbahnhof dahinter, dann das dörfliche Zentrum. Foto: Koch
Kaltern – Wieder der Brenner. Wieder der Süden. Aber nicht ganz so weit wie zuletzt in die Toskana. Schon bei Bozen biegen wir diesmal ab über ein schreckliches Gewirr an Autobahn-Ab- und -Zufahrten, einschließlich Mautstation, auf die Südtiroler Weinstraße und weiter nach Kaltern hoch über dem gleichnamigen See. Es ist Mitte September. Der Sommer neigt sich langsam dem Ende zu. Tage werden kürzer, Nächte länger, Temperaturen frischer. Auch im norditalienischen Alto-Adige-Land über der Etsch folgt in den Weindörfern der 150 Kilometer langen Strada del Vino von Nals im Norden bis Salurn im Süden dann bald schon wieder der Herbst, die klassische Zeit des Weins, seiner Lese und des Wanderns.
Wein- und Obstanbau spielen eine wichtige wirtschaftliche Rolle in der Region.
Appiano und die Burgen
Bei Eppan, 15 000 Enwohner, italienisch Appiano, beherrschen der Gantkofel und der gigantische Abbruch des Mitterbergs zum Talboden der Etsch hin das Landschaftsbild. Wie in den übrigen Orten an der Weinstraße spielen Tourismus und Landwirtschaft hier die wichtigsten Rollen, vor allem der Wein- und der Obstanbau. Es heißt sogar, mit 1050 Hektar Anbaufläche soll sich in der Gemarkung von Eppan Südtirols größtes Weinanbaugebiet befinden. Zudem gilt die Gegend mit etwa 20 diesbezüglichen Bauten als eine der burgen- und schlossreichsten, wenn nicht sogar als burgen- und schlossreichste in Europa überhaupt. Darunter nicht zuletzt Schloss Sigmundskron, das allerdings zu Bozen gehört, mit einem der sechs Mountain-Museen des bekannten Südtiroler Extrembergsteigers und Abenteurers Reinhold Messner.
Auf dem Marktplatz von Kaltern. Holzschnitzerei-Figur: Schon wieder diese Touristen!
Caldaro und der Überetsch-Stil
Kaltern, 8000 Einwohner, italienisch Caldaro, hat einen gemütlichen Marktplatz, zeichnet sich immer wieder durch den Überetscher Baustil aus mit Zinnen und Erkern, gerahmten Türstöcken und Fensterbögen, Zwillingsfenstern mit Mittelsäulen, dazu Arkaden, Loggien, Freitreppen und Innenhöfen. Von insgesamt 14 (!) Kirchen ist die Rede. Bei der größten, der von Maria Himmelfahrt, steht der Turm getrennt vom Hauptgebäude. Schloss Sallegg im Ortsteil Mitterdorf ist einst ein kleinerer Wohn- oder Rittersitz des niederen Adels gewesen. Was aus einem Gefängnis alles werden kann, zeigt sich in der Galerie Le Carceri bei Ausstellungen zeitgenössischer Kunst. Im Weinmuseum dreht sich natürlich alles, zumal an der Weinstraße, um Wein. Die 1903 eröffnete Standseilbahn mit dem schönen italienischen Namen Funicolare della Mendola führt vom Ortsteil Sankt Anton-Pfuß zum Hausberg Mendel hinauf: Starthöhe 510 Meter, Bergstation 1364 Meter, Streckenlänge 2370 Meter, Fahrzeit 12 Minuten, Höhenunterschied 854 Meter, Steigung im Schnitt 39, maximal 64 Prozent.
Der See, nur teilweise touristisch erschlossen, ist eines von fünf Kalterer Biotope.
Die Lage am Lago unten in der Senke
Beim Kalterer See, italienisch Lago di Caldaro, drei Kilometer vom Dorf entfernt zu Füßen der Leuchtenburg, eingebettet in sanfte Weinhügel und ausgedehnte Apfelplantagen, handelt es sich um eines der fünf Kalterer Biotope neben Altenburger Tümpel, Eislöcher, Frühlingstal und Rastenbachklamm. Der See selbst, 1,5 Quadratkilometer groß, 1,8 Kilometer lang, 900 Meter breit und bis zu 5,6 Meter tief, ist als Überbleibsel eines alten Flussbetts am Übergang einer Senke vom Überetsch- ins Unterland entstanden, soll ähnlich dem Klopeiner See mit bis zu 28 Grad der wärmste zum Baden in den Alpen sein, womit sich sicherlich gut werben lässt. Insbesondere Auwald, Feuchtwiesen und Schilfgürtel mit Teich machen ihn als Naturschutzgebiet aus. Es gibt seltene Libellen-, Pflanzen- und Vogelarten. Im trotz Wärme scheinbar noch immer relativ nährstoffreichen Gewässer tummeln sich Fische vom Aal über Barsch, Brasse, Hecht und Karpfen bis hin zum Zander. Ost- und Westufer sind touristisch erschlossen. Hinter dem verschilften im Süden wird Plent, original Kalterer Maisgrieß, angebaut. Es finden See(fest)spiele statt. Der Wanderweg rund um den See, zugleich Namensgeber für den in der Umgebung mit kontrollierter Herkunftsbezeichnung angebauten Wein aus der Vernatsch-Traube, ist 7,4 Kilometer lang.
Auf dem Dorfplatz von Tramin. Der Baustil ist typisch für die gesamte Region.
Termeno und die Erntezeit früher
Mit Tramin, 3400 Einwohner, italienisch Termeno, dürften insbesondere Weinkenner etwas anzufangen wissen, stammen namentlich doch die Gewürztraminer von hier. Im Dorf mit dem auch in diesem Fall historischen Ortskern stehen im Sommer und Herbst quasi wöchentlich Weinfeste auf dem Programm. Der florierende Handel mit den Trauben hat Tramin zur „bevorrechteten Marktsiedlung“ gemacht. Wie die Erntezeit früher war? „Damals hat es den Weinbau und die Selbstversorgung mit Mais, Kartoffeln, Bohnen, Erbsen, Gemüse und Obst gegeben“, heißt es im Zusammenhang mit einer entsprechenden Ausstellung im Ort. Erst in der Zeit zwischen den Weltkriegen habe im Unterland der intensive Apfel- und Birnenanbau begonnen. Ab den 1950er-Jahren seien die Selbstversorgungskulturen in der Ebene schließlich in wenigen Jahrzehnten abgelöst worden. „Heu und Mais verschwanden genauso wie der Einsatz von Ochsen und Pferden für die alten Fuhrwerke.“ Mit dem Einsatz von Traktoren hätten sich schließlich auch die Formen des Transports geändert.
Neumarkt zeichnet sich durch seine Lauben(gänge) aus. Moderne Brücke über die Etsch.
Egna und der Freiheitskämpfer
Bliebe unter den Orten im Unterland, die wir uns für unsere Reportagen über Südtirol angeschaut haben, noch Neumarkt, 5500 Einwohnr, italienisch Egna, zu Füßen des Castelfelder Hügels und Biotops mit Ruinen einer römischen Burganlage noch Neumarkt. An Reben gedeihen hier die des gehaltvollen Blauburgunders besonders gut. Im Naturpark Trudner Horn haben unter anderem auch Dachs, Gottesanbeterin, Kleber, Singzikade, Smaragdeidechse und Schneehase längst ein Zuhause gefunden. Im Fleimstal ist auf den Pisten von Cermis im Winter sogar Skifahren möglich. Vom ausgiebigen Radwegenetz im Tal der Etsch sowohl nach Norden wie nach Süden profitiert freilich nicht nur Neumarkt. Der frühe Wohlstand durch ganzjährigen Handel spiegelt sich auch hier nach wie vor im Ortskern wider. Wir gehen an alten Ansitzen vorbei, an beschaulich gestalteten Innenhöfen und Bauten im venezianischen Stil. Die Lauben(gänge) mitten im Dorf sind in den Jahren zwischen 1300 und 1600 entstanden. Kein Wunder, dass Neumarkt Mitglied der Vereinigung I borghi più belli d’Italia der schönsten Dörfer Italiens ist! In einer Nebengasse bleiben wir aus einem anderen Grund unter einer Gedenktafel stehen. „Auf seiner Todesfahrt nach Mantua“, ist darauf fast herzförmig grün umrandet zu lesen, „wurde in diesem Hause der Tiroler Freiheitskämpfer Andreas Hofer in der Nacht vom 30. auf den 31. Jänner 1810 gefangen gehalten.“
Blick aufs Hügelland der südlichen Talseite der Etsch. Geschmiedete Türgriff-Skulptur.
Über Schotter, Stein und Wurzeln
Die Orte breiten sich erst in Höhen ab über 200, im Fall von Tramin sogar bis über 2000 Metern aus. Im hügeligen und teilweise bergigen Land, das sich an den Rändern über dem Tal der Etsch erhebt, bleiben deshalb auch beim Wandern mehr oder weniger anstrengende Aufstiege nicht selten aus. Deren Längen, Steigungen und Bodenbeschaffenheiten vom Schotter über Steine bis hin zu Baumwurzeln nicht unterschätzen! Was zum Beispiel besonders gilt für eine Tour vom Kalterer See hinauf nach Tramin, am Mendelkamm entlang Richtung Grenze zum benachbarten Trentino oder vom Kalterer Ortsteil Oberplanitzing erst hoch zu den Eislöchern, dann noch höher zum Steinegger und zuletzt zum Schloss oder zur Villa Matschatsch. Aber das ist eine ganz andere, eine tierisch-bärige Geschichte, die wir noch erzählen. Und was uns betrifft und das Wandern, sind wir nach sechs reinen Zu-Fuß- und vier kombinierten Zu-Fuß-/Bus-Touren am Ende zusammengefasst unterm Strich auf 28 Stunden, exakt 157 711 Schritte und 101 Kilometer gekommen.
Zwei empfehlenswerte Lokalitäten in Kaltern: Gasthaus Schwarzer Adler und Torgglkeller.
Mehr übers ganze Jahr verteilt
Kaltern, Penegalweg 21. Im Designhotel Panorama & Dependance heißt Juniorchef Markus Huf seine Gäste noch selber willkommen, selbst am Sonntag. Für ein Interview, das im Rahmen dieser Reisereportagen-Reihe als nächstes erscheint, sprechen wir über den Tourismus in der Region, über den bereits verhängten Baustopp in Südtirol vor allem für größere Beherbergungsbetriebe, um so auch zum Erhalt der kleineren beizutragen, über lebendigeres Leben im Dorf nicht nur saisonabhängig, sondern mehr übers ganze Jahr verteilt. Im Pool-Garten draußen, von dem aus man über die Dächer von Kaltern und weiter auf die Hügel und Berge auf der Talseite gegenüber schauen kann, wachsen Palmen, Oliven- und Zitronenbäume – und es wird klar, mit welchem Pfund die Region auch in Zukunft und das sicher nicht zuletzt punkten kann, wenn der junge Hotelier feststellt: „Wir sind der mediterrane Teil von Südtirol!“ Der Süden im italienischen Norden.
Alte Traktoren am Kalterer See. Blumengeschmückte Andachtsstelle im Ort.
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Das Designhotel Panorama & Dependance - eine Empfehlung zur Einquartierung Mehr See, Berg, Dorf - ein Interview zum Tourismus in der Region Mehr Beim Gletscher- & Minnemann - ein Besuch in der Landeshauptstadt Bozen Mehr Qualität statt Quantität - über den Wein in der Region Mehr Es folgen im Rahmen unserer neuen Reisereportagen-Reihe "Im Süden Südtirols" noch Geschichten übers Wandern auf dem Kalterer Hausberg Mendel und zum Schluss über den - Bär.
Markt auf dem Marktplatz. Schloss Sallegg, auch ein Weingut, ist hübsch anzusehen.
Info Südtirol I
Die (zusammen mit Bozen) autonome Provinz Südtirol, 1919 zu Italien gekommen, ist die nördlichste des Landes. Sie grenzt an Österreich, an Nord- und Osttirol, dann an Venetien und die Lombardei sowie an den Schweizer Kanton Graubünden, ist 7400 Quadratkilometer groß, zählte zuletzt mehr als 532 600 Einwohnerinnen und Einwohner, die vor allem Deutsch und Italienisch, in wenigen Gegenden aber auch sogar noch Ladinisch sprechen. Landeshauptstadt ist Bozen, höchster Berg mit 3343 Metern die Marmolata, wichtigster Fluss die Etsch. Das Klima ist kontinental, meist gemäßigt und angenehm mild, im Sommer nicht zu warm, im Winter nicht zu kalt, in höheren und höchsten Lagen wie den Dolomiten dann aber doch alpin. Beste Reisezeiten sind Frühling, Sommer und – nicht zuletzt eben wegen der Weinlese und des Wanderns – Herbst.
Zitronenbaum im Pool-Garten des Designhotels Panorama. Marende-Brotzeitteller.
Info Südtirol II
Kulinarische Spezialitäten reichen etwa vom Speck über Knödel, Ravioli-ähnliche Schlutzkrapfen sowie die einer gemischten Wurst-, Schinken- und Käseplatte ähnliche Marende mit Schüttelbrot bis hin zum bekannten Strudel und Kaiserschmarrn. Südtirol ist Weinland. Dazu gehören im Süden etwa die weißen Vernatsch, der Lagrein-Rosé und der Rote vom Kalterer See. Mit dem im Zimmerpreis der teilnehmenden Betriebe enthaltenen Gästepass ist es möglich, auch an der Weinstraße öffentliche Verkehrsmittel kostenlos zu nutzen, darunter zum Beispiel die Mendelbahn. Information: Südtirol-Tourismus, Pfarrplatz 11, 39100 Bozen, Südtirol/ItalienTelefon 0039-(0)-471094000, www.suedtirol.info.
Schüttelbrot darf bei Tomaten-Mozzarella im Kalterer Drescherkeller nicht fehlen.
Info Kaltern
Als Möglichkeit zur Einquartierung empfehlen können wir für einen Aufenthalt im Süden Südtirols in Kaltern das Designhotel Panorama & Dependance (vier Sterne, 38 Zimmer/Suiten, noch oberhalb des dörflichen Zentrums gelegen mit Blick auf die Marktgemeinde und die andere Talseite gegenüber, inspiriert von der örtlichen Weinkultur, Motto „Zwischen Design und Wein“, genauso modern-minimalistisch wie praktisch-funktionell, dank Eichenholz-Verwendung helle und freundlich-gemütliche Anmutung, Spa sowie Pool-Garten mit mediterraner Vegetation, www.designhotel panorma.com). An Lokalitäten mit besonderem Charakter bieten sich in Kaltern die Jausenstation Drescherkeller am Maria-von-Buol-Platz 3, das Landgasthaus Gasthaus Schwarzer Adler am Krumbachweg 15 und der Torgglkeller am Bichl 2 an. Information: Tourismusverein, Marktplatz 8, 39052 Kaltern am See, Südtirol/Italien, Telefon 0039-(0)-471963169), www.kaltern.com.
Christliches Steinrelief neben einer Palme. Mit gemauerten Eingangsbogen haben es die Südtiroler.
Service Anreise I
Wer mit dem Auto aus Deutschland anreist: Für die Strecke ab Innsbruck nach Kaltern über die Brennerautobahn A22 erst bis zur Ausfahrt Bozen-Süd, weiter zur Ausfahrt Eppan und dann die Weinstraße entlang sollte man noch mit etwa 135 Kilometer oder eindreiviertel Stunden Fahrzeit rechnen. Über den Reschenpass geht’s über Meran und Bozen. Auch Busverbindungen von Deutschland aus gibt es. Bozen ist Bahnknotenpunkt. Von der Landeshauptstadt aus verkehren Busse regelmäßig nach Kaltern. Nächstgrößere Flughäfen über Bozen hinaus sind Innsbruck, Bergamo und Verona.
An diesem Stand gibt es auch Südtiroler Kaminwurzen-Salami zu kaufen. Karte der Kalterer Region.
Service Anreise II
Ein Aufenthalt im oberbayerischen Lenggries bei Bad Tölz hat unsere in diesem Fall doch noch relativ lange Anreise von fast 720 Kilometern wenigstens auf zwei Tage verteilt. Der 10 500-Seelen-Ort im Vorland der Alpen wartet mit Geierstein (1491 Meter), Brauneck (1556 Meter), Eng-Alm (1277 Meter), Heimatmuseum, Schloss Hohenburg, dem letzten bestehenden Lenggrieser Kalkofen, dem Barock der Jakobs- und der Moderne der Waldkirche sowie dem Sylvensteinspeicher auf. Einzel-/Doppelzimmer sind aktuell ab 55/85 Euro pro Person/Nacht zu haben im Gästehaus Heiß (www.gaestehaus-heiss.de), einem altes Flößerhaus aus dem Jahr 1619, eingerichtet im urig-gemütlichen Landhausstil.
KoCom/Fotos: Barbara Fett/Günther Koch
22. Oktober 2024