Zum Capo Spartivento
Auf Sardinien / Costa del Sud statt Costa Smeralda / Mit Renault von Cagliari zum südlichsten Punkt der Insel
Von Günther Koch/Life-Magazin
Der König hat ihn erbauen lassen: Leuchturm am Capo Spartivento. Fotos: Koch
Cagliari/Chia – Türkisblaues Meer. Kristallklares Wasser. Kleine Buchten. Weiße Sandstrände. Ein wildromantisch-bergiges Hinterland. Nein, es muss nicht unbedingt der teure Nordosten Sardiniens an der Smaragdküste des internationalen Jetsets, der Costa Smeralda, sein. Ja, auch der ruhigere Süden hat seine Reize!
Hinten die Hauptstadt Cagliari, vorn die Lagune. Anti-Europa-Spruch an einem verfallenden Haus.
Im Schutz der Zitadelle
Mitte Dezember. Renault stellt auf Sardinien sein aufgefrischtes Kompakt-SUV Kadjar fürs nächste Modelljahr vor. Am Flughafen Mario Mameli in Elmas westlich der Hauptstadt Cagliari, deren ocker- und sandfarbene Häuser im historischen Zentrum um den Festungshügel unterhalb der Zitadelle angeordnet sind, geht’s los. Ziel ist das etwa 60 Kilometer entfernte Capo Spartivento am wohl südlichsten Ende der Insel, sieht man vom Capo Malfatano als südlichstem frei zugänglichen Punkt Sardiniens einmal ab. Der Himmel bedeckt. Gelegentlich lugt die Sonne zwischen einzelnen Wolkenbänken vor. Der Maestrale weht an diesem Tag doch ziemlich heftig aus Nordwest. Die Temperaturen könnten gefühlt etwas angenehmer sein. Aber was soll’s? Die Saison ist zu Ende. Auf der einstigen Insel der Hirten und Schafe ist man weitgehend wieder unter sich. Alles wirkt eine Spur entspannter. Kaum Touristen, die die Nuraghen genannten Stein- und die Sarazenentürme bewundern – oder die als Murales bekannt gewordenen Wandmalereien derer bestaunen, die für mehr Autonomie eingetreten sind oder noch eintreten.
Am Golf von Cagliari ist auch eine Industriezone entstanden. Wegweisung weiter Richtung Süden.
Von Santa Gilla und Contivecchi
Denn Sarden wollen eigentlich gar keine Italiener sein, versuchen, das auch bewusst noch immer etwa mit ihrem Dialekt und den zweisprachigen Ortsschildern auszudrücken. Ihre Flagge, so heißt es, zeigt nicht einfach nur vier Mauren, um deren Herkunft sich nach wie vor Geheimnisse ranken, sondern symbolisch und tief verwurzelt vier Giudicati, vier kleine, unabhängige Staaten, die vor Jahrhunderten völlig autonom und energisch ihre Insel vor den ständigen Invasionen verteidigt haben sollen ... Auch auf Europa scheinen manche gar nicht so gut zu sprechen zu sein: Jedenfalls hat jemand da, wo die schmale Landzunge das offene Meer von Lagunen wie der von Santa Gilla und Salinen wie der von Contivecchi trennt und der Rio Santa Lucia in den Golf von Cagliari mündet, in großen roten Buchstaben „Unione Europea = Dittatura“ an die Wand eines verfallenden Gebäudes direkt an der küstennahen SS95 Sulcitana geschrieben. Was freilich schon vor einiger Zeit gewesen sein muss, denn die Schrift ist längst dabei, zu verblassen. Bricht vielleicht doch eine neue Zeit im Land und auf der Insel an, wo bis über die Mitte des 20. Jahrhunderts hinaus Blutrache und lange Familienfehden noch an der Tagesordnung gewesen sind?
Sardinien ist auch eine Insel der Schafe, der Hirtenhunde – und natürlich des katholischen Glaubens.
Dann über Frutti d’Oro und Sarroch
Wir lassen die großen Erdölraffinerien südlich der Hauptstadt hinter uns. Händler bieten an der Straße an provisorisch aufgebauten Ständen, aus dem Auto heraus oder vom Transporter herunter Orangen, Artischocken, Knoblauch, Lamm-, Ziegenfleisch an – und überreifen Schafskäse Formaggio Marcio, sardisch Casu Mazu, der tatsächlich so lange reift, bis er Maden enthält. Frutti d’Oro liegt an der Strecke, zieht mit seinem nur 300 Meter langen Strand vor allem Surfer an. Sarroch ist durch Olivenanbau landwirtschaftlich geprägt. In der Umgebung sind Gigantengräber und Nuraghen sehenswert. Der Naturpark Riserva di Monte Arcosu grenzt an. Die Monti del Sulcis erheben sich im Hintergrund.
Hier geht’s ans Meer zu einem der noch erhaltenen, restaurierten Sarazenentürme an der Küste.
Bis Pula und zur Römerstadt Nora
Wir kommen so langsam in eine Region, die eine Kollegin wohl auch in Anlehnung an einen deutschen Schlager einmal mit „Heißer Sand und ein verlorenes Land“ beschrieben hat. Schließlich sind es von hier bis nach Afrika hinüber kaum 200 Kilometer. Und der Atem des Schwarzen Kontinents sei an der Südküste Sardiniens bereits deutlich zu spüren. Bei Pula handelt es sich um einen quirligen Badeort. In den Ruinen der einstigen Römerstadt Nora finden im Sommer Konzerte und Theateraufführungen statt. Wenig weiter soll man dann schon an Sardiniens „heißestem Punkt“, Stichwort Afrika, stehen.
Die Insel hat unterschiedliche Arten von Stränden zu bieten. Dieses Boot fährt wohl nicht mehr raus.
Am königlichen Leuchtturm
Die Strände an der Costa del Sud rings um den Ferienort Torre di Chia sind wirklich schön. Hohe Granitvorgebirge. Feuchtgebiete, in denen etwa rosa Flamingos nisten. Dünen. Wachholderbäume. Rosmarinbüsche. Oleander. Pfade, die zu Nachbarbuchten führen. Ein Sarazenenturm. Mauerreste von einer weiteren Römerstadt, diesmal der von Bithia. Bachmündungen, an denen sich kleine Buchten mit Tamarisken finden. Und zuletzt Wege und Pisten, die zum Capo Spartivento führen. Der Leuchtturm dort ist 1854 von der italienischen Marine erbaut worden. In dessen schmiedeeisernem Fries über dem Eingang prangen noch heute die Initialen von Viktor Emanuel II. von Savoyen, der damals den Bau von 20 königlichen Leuchttürmen betrieben hat. Nach Beschädigung durch US-amerikanische Flieger während des Zweiten Weltkriegs ist der Turm nach Kriegsende erstmals restauriert worden. Bis in die 1980er-Jahre hinein, als die Automatisierung den Leuchtturmwärter überflüssig machte, lebte dessen Familie darin.
Sardiniens Flagge mit den Mauren ist auch symbolisch zu sehen. Zu Füßen des Granitvorgebirges beginnt gleich das Meer.
Jeden Abend Laternenlicht
Danach geriert der Turm in Vergessenheit, entstand 2006 neu als erster und einziger Leuchtturm Italiens, der zugleich als Gästehaus und Hotel dient. Zuverlässig und vertraut soll jeden Abend das Licht am Capo Spartivento angehen. Seit nun schon 166 Jahren. Umgeben von türkisblauem Meer, kristallklarem Wasser, kleinen Buchten, weißen Stränden und einem Hinterland, das mit seinen Bergen, Höhlen, Schluchten und Tälern wildromantisch ist.
Renaults Kadjar, der Anlass der sardischen Reise war. Das Büffet ist eröffnet: Die Küche der Insel ist eine eher herzhafte.
Info Sardinien
Mit über 24 000 Quadratkilometern ist die Insel südlich von Korsika nach Sizilien die zweitgrößte im Mittelmeer, zählte zuletzt gut 1,6 Millionen Einwohner. Hauptstadt ist Cagliari. Von Nord nach Süd sind es 270, von Ost nach West 145 Kilometer. Mit den vorgelagerten Inseln erreicht Sardinien fast 2000 Kilometer Küstenlänge. Rund 200 Kilometer sind es über das Tyrrhenische Meer hinüber zum Festland von Italien, wozu die autonome Region gehört. Das Klima ist mediterran. Frühling und Herbst sind warm, die Sommer heiß, die Winter mild. Kulinarische Spezialitäten reichen etwa vom Schafskäse Pecorino über getrockneten Bottarga-Rogen, Ravioli-ähnliche Culurgionis und sardische Malloreddus-Gnocchi bis hin zum gegrillten Porcheddu-Spanferkel. Bekannte weiße Weine sind Vermentino di Gallura und Vernaccia di Oristano, bekannte rote Cannonau, Terre Brune und Monica di Sardegna. Mirto ist der aus den Früchten der auf der Insel verbreiteten Myrte hergestellte Likör. Noch ein Tipp: Alternativ zur beschriebenen gut einstündigen Route weitgehend an der Küste entlang könnte auch die bis zu zweieinhalbstündige über fast 120 Kilometer durchs Hinterland etwa an Assemin, Nuxis, Santadi, Giba und Teulada vorbei gewählt werden. Information: Italienische Zentrale für Tourismus Enit, Barckhausstraße 10, 60325 Frankfurt/Main, Telefon 069-237434, www.enit.de.
Was uns diese Reliefszene wohl sagen soll? Rosa Flamingos in einer Lagune am Capo Spartivento.
Service Auto
Wer mit dem eigenen Wagen anreisen will: Von Frankfurt/Main nach Olbia sind es einschließlich Überfahrt etwa 1350, bis nach Cagliari knapp 1600 Kilometer. Fähren verkehren unter anderem von Civitavecchia, Genua und Livorno regelmäßig auf die Insel, was je nach Ziel zwischen sechs und zehn Stunden dauern kann. In Italien und damit auch auf Sardinien ist in Orten 50, außerhalb 90, auf Schnellstraßen 110, auf Autobahnen Tempo 130 erlaubt. Die Promillegrenze liegt bei 0,5. Am bequemsten reist man mit dem Flieger an, entweder per Charter oder per Linie teilweise mit Umsteigen in Mailand oder Rom. Die Flugzeit von Deutschland beträgt, egal ob nach Alghero und Olbia im Norden oder Cagliari im Süden, maximal zwei Stunden. Die Reise auf Sardinien fand im Renault Kadjar statt, der aktuell zu Einstiegspreisen ab 23 390 Euro als Turbobenziner mit 140 und 160 PS sowie als Turbodiesel mit 115 und 150 PS bei den Händlern steht.
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KoCom/Fotos: Günther Koch
10. Januar 2020