Stadt der Contraden
Siena, die ungleiche Schwester / Baci! Baci! Scusi! Scusi! / Im Peugeot 308 SW durch die Toskana (III)
Von Günther Koch/Life-Magazin
An der muschelförmigen Piazza del Campo, einem der schönsten Plätze Italiens und wohl auch der Welt. Fotos: Koch
Siena – Diese Stadt ist anders, auch zum samstäglichen Ende der alten Woche hin. Anders als die Orte im Chianti, durch die wir in den Tagen zuvor gefahren sind. Hinter ihr, hinter Siena, geht die lieblich-sanfte Wein- langsam in die herbere Felder-Toskana über, kommt man wie wir von Norden, von Barberino-Tavarnelle, gut 30 Kilometer südlich von Florenz.
Auf dem Weg ins Zentrum: Garibaldi-Reiterstatue, Riesenrad und …
Fast liebevoll
Campo – so nennen die Sienesi fast liebevoll ihre malerische Hauptpiazza. Und beide gehören zusammen. Der Platz und die Stadt. „Come Pisa e la Torre Pendente“, haben wir in einem der Reiseführer in Vorbereitung auf unseren spätsommerlich-frühherbstlichen Aufenthalt in der Chianti-Toskana gelesen: „Wie Pisa und der schiefe Turm“. Wir setzen uns an den Rand, lassen mit dem Stolz der Einheimischen auch den Campo auf uns wirken. Hier soll es schlagen. Das Herz von Siena.
… Pferd-mit-Fohlen-Skulptur in den Gärten Giardini della Lizza. Blick zur Altstadt hinüber.
Heimat der Terra
„Duftend vor Wein, vor allem im Herbst zur Zeit der Lese“, hat ein Unbekannter einmal über diese Region und eine der Städte geschrieben, die sie prägen – neben Florenz. Bunt gefärbt von bezaubernden Landschaften. Veredelt durch Plätze und Türme, Villen und Burgen. Heimat der Terre di Siena. Hier gehe es persönlicher zu. In einer hektischen Welt, in der fast alles ein Etikett haben müsse, führe sich Siena mehr oder weniger auf seine Weise ein – „ohne geschäftliche Visitenkarte“.
Priester-, Politiker-, Wissenschaftler-Denkmal Sallustio Bandini. Durchgang an der Piazza del Campo.
Campo und Palio
Siena ist Hauptstadt der gleichnamigen Provinz, Florenz die der gesamten mittelitalienischen Region Toskana. Das historische Zentrum gilt als Erbe der Weltkultur. Es gibt Kirchen, Paläste, Kunstschätze, den über 100 Meter hohen Glockenturm an der Piazza. Und dieses schon im 12. Jahrhundert auf dem Campo zelebrierte Pferderennen. Den Palio.
Toskana, Siena – das ist auch bunte (Postkarten-)Vielfalt. Blick auf den Stadtpalast mit Turm Torre del Mangia.
Leichter Schauer
Jedes Jahr im Sommer ziehen sie auf der Piazza ein. Die rivalisierenden Stadtteile, die Contraden. Mit leichtem Schauer blicken Zuschauer immer wieder auf das Ende des Zuges: Knappen tragen da die Symbole Hahn, Löwe, Viper, Bär, Schwert und Eiche, die sechs sogenannte „Geister“-Stadtteile repräsentieren. „Sie sind“, hat Sebastiano Mancini uns schon bei einer früheren Führung durch Siena gesagt, „nach einer Massenschlägerei am 2. Juli 1675 zwar auf ewig vom Palio ausgeschlossen, die Contraden aufgelöst aufgelöst worden, aber die Banner werden weiter zur Eröffnung mitgetragen.“
Auf dem Campo gibt es immer was zu sehen. Der Reiter-Palio gehört zu Siena.
„Dass es guttut“
Goethe, „Italienische Reise“. Der geheime Rat und Dichterfürst der Deutschen (1749-1832) empfand, was nachzulesen ist, damals das Tempo seiner Kutsche als zu schnell, um die Schönheit der Provinz bewundern zu können. Zum Vergleich: Wir sind bei unserem Langstreckentest im kompakten Peugeot-Kombi 308 SW mit 225 Pferdestärken unterwegs gewesen. Dann ist da noch D(avid) H(erbert) Lawrence, englischer Schriftsteller (1885-1930), der festgestellt hat, dass die „Traumlandschaft“ rund um Siena der „Seele das Gefühl gibt, dass es ihr guttut, hier zu sein“. Pinien und Zypressen würden seit Jahrhunderten gepflanzt. Die sanften, wie mit Samt überzogenen Hügel, die sich an die Ufer der Flüsse schmiegten, seien das Ergebnis jahrhundertelanger harter Arbeit. Wenn es noch unberührte Natur gebe, so der Dichter damals weiter, dann in den Bergen des Monte Amiata etwa 20 Kilometer südlich von Montalcino.
Das Ensemble rund um den Campo mit abzweigenden engen Altstadtgassen ist einzigartig.
Lieber für Armbrüste
„Aber diese Berglandschaft, die an die vorderen Alpen erinnert, meint der Besucher nicht, wenn er an die Provinz Siena denkt“, glaubt Sebastiano. Nein, es seien wohl in der Tat eher die Stadtpaläste, die sich damit verbinden und wertvolle Kunstgegenstände beherbergen würden, um sie wiederum in stilechter Umgebung betrachten zu können. Sie verrieten Wohlstand, Liebe für die Künste und gepflegten Lebenswandel. „Doch was auch wir da sehen, das liebliche, zum Spaziergang einladende Siena, hat es so vielleicht gar nicht gegeben“, räumt Sebastiano ein. Denn zur Blüte des früheren Stadtstaats sollen die Sienesi die Fenster ihrer Paläste nicht genutzt haben, um wie die reichen rivalisierenden Florentiner Tageslicht einzufangen, Bilder und Statuen geschickt zu beleuchten, „sondern durch sie mit einer Armbrust unliebsame Gegner zu bekämpfen.“ Fehden habe es in Siena schließlich genug gegeben. Und der Hass unter den verfeindeten Parteien sei angeblich so groß gewesen, dass der Bischof die Streitenden an Silvester 1494 im Dom gezwungen habe, sich zu küssen und zu verzeihen: Baci! Baci! Scusi! Scusi! Küsschen! Küsschen! Verzeihung! Verzeihung!
Dieses Weißbrot hat Olivenpaste und Kapern drauf. Renaissance-Malerei auf dem Pflaster.
Wölfin – wie in Rom
Siena liegt auf drei Hügeln zwischen den Flüssen Elsa und Arbia. Schon die Etrusker, ein antikes Volk wie die Römer, siedelten dort. Kaiser Augustus baute da seine Militärkolonie Sena Iulia auf. Der Legende nach soll freilich Senio, der Sohn von Remus, die Stadt gegründet haben. Deshalb beruft sich Siena auch auf die Wölfin, die die Zwillinge Romulus und Remus gesäugt haben soll, als Wahrzeichen der Stadt. Ausgerechnet genauso wie die italienische Kapitale. Wie Rom.
Fahnenmeer der Contraden. Süßes in Maßen muss nicht immer sündhaft sein.
Torri bis Montalcino
Wir fahren wieder hinaus aufs Land. Hinweisschilder machen darauf aufmerksam, was in der Umgebung Sienas sehenswert sein könnte. Torri zum Beispiel mit malerischem Ortsbild. Der romanische Kreuzgang des ehemaligen Klosters ist noch erhalten. Dann die Basilica dell’Osservanza, eine mächtige Renaissancekirche mit mittelalterlichen Altarwerken. Das romanische Pieve San Giovanni in Ponte allo Spino mit reichem Kapitelschmuck. Die Abbazia San Galgano, eine frühere Abtei der Zisterzienser aus dem 13. Jahrhundert. Oder die Einsiedelei Montesiepi mit romanischer Rundkirche als Gründungsort der Abtei San Galgano. Darüber hinaus sind San Gimignano und eben Montalcino nicht weit.
Deckenfresko im Innenhof eines Cafés nahe des Campos. Siena hat auch eine Universität.
Eine der Wohlhabendsten
Siena gilt als eines der Zentren der Toskana. Der überwiegende Teil dieses Landstrichs außerhalb der größeren Städte ist ländlich geprägt und wird bewusst auch so erhalten. Die Region ist aus landwirtschaftlicher Sicht eine der am wohlhabendsten, spezialisiert nicht zuletzt unter anderem auf den Anbau von Reben. Was uns dabei in den Sinn kommt, ist: Ob sie in der Via Banchi di Sopra in Sienas Altstadt im Caffé Nannini wohl noch immer Schlange stehen, um sich von einem ganz anderen Duft als dem von Wein betören zu lassen, dem von gerösteten Bohnen für Kaffee?
Ja, ein Besuch bei Nannini sollte sein. Und ja, die Toskana, das sind auch Siena und Florenz.
Bei Gianna und Alessandro
Das Caffé, 1911 als Bar Ideale eröffnet, hat einen Vorteil: Nicht nur dass Alessandro, der ehemalige Automobilrennfahrer, und seine Schwester Gianna, die Rockmusikerin, zur Nannini-Familie gehören, die nach wie vor das Geschäft mit kreativen Kaffees und süßen Konditoreiwaren betreibt. Auch die Lage spricht für sich. Nur wenige Schritte sind es bis zum – Campo. Diese Stadt. Dieser Platz. Auch 2024 findet da der Palio wieder statt. Am Dienstag, 2. Juli. Und am Freitag, 16. August.
Der höhere Nutzwert zeichnet Kompaktkombis wie den Peugeot 308 SW auch auf längeren Strecken aus.
Der Franzose in Italien
Die Reise in die Toskana fand im Peugeot 308 SW (für Station Wagon) statt. Der 4,63 Meter lange Kompaktkombi stand als Benzinhybrid aus Verbrenner und Elektromotor mit 225-PS-Systemleistung in sportlich-wertigerer GT-Ausführung zur Verfügung. Der familientaugliche Fünftürer mit dem höheren Sicherheitsniveau, auch was die modernen elektronischen Assistenzen betrifft, bietet Platz für bis zu fünf Personen, allerdings geht es hinten dann etwas beengter zu. Der Kofferraum fasst ordentliche 548 bis 1574 Liter. Laut Bordcomputer haben wir auf dem hin und zurück rund 2300 Kilometer langen Test mit unterschiedlichen Fahrprofilen kombiniert 5,3 Liter verbraucht, weshalb man mit dem flotten, sportlich-komfortabel ausgewogenen Peugeot durchaus auch längere Strecken in Angriff nehmen kann. Im Vergleich zum normalen 308 stellt der Kombi – die wichtigsten technischen Daten finden sich am Ende des Texts – zweifellos die nutzwertigere Wahl dar. Mit diesem Beitrag endet die dreiteilige Serie „Mit dem Peugeot 308 SW durch die Toskana“.
Info Siena I
Die Stadt in der gleichnamigen Provinz gilt als eine der schönsten in der Toskana und in Italien. Die einstige etruskische Siedlung, aus der die Römer später ihre Kolonie Saena Iulia gemacht haben, stellt für Experten ein über Jahrhunderte gehütetes gotisches Meisterwerk mittelalterlicher Stadtplanung dar. Beeindruckt Florenz als Paradebeispiel einer Renaissance-Stadt vor allem durch schiere Masse und Größe seiner Bauwerke und Kunstwerke, hat Siena, 1347 Geburtsort der heiligen Katharina, Schutzpatronin Italiens und Europas, zuletzt etwas mehr als 53 000 Einwohner, seinen ursprünglichen Charakter weitgehend erhalten. Klimatisch geht es recht angenehm zu. An der toskanischen Küste sind die Sommer meist trocken und heiß, die Winter mild und regenreicher. Im teils gebirgigeren Landesinneren lässt das mediterrane Klima etwas nach. Beste Reisemonate sind April/Mai und September/Oktober.
Info Siena II
Zur Einquartierung empfehlen können wir in Tavarnelle Val di Pesa das Agriturismo Poggio alle Lame (3 Sterne nach Landeskategorie, 10 Zimmer, 9 Appartements, ruhig auf 32 Hektar inmitten von Wäldern, Olivenhainen und Weinbergen auf einem Hügel außerhalb von Tavarnelle gelegen, typisches Bauernhaus samt zwei Heuschobern, stilvoll-rustikal mit Balkendecken und Backsteinböden restauriert, Freiterrasse mit schönem Blick über die Landschaft, toskanische Küche, Pool, www.poggioallelame.it). Die regionalen kulinarischen Spezialitäten aus der Gegend um Siena reichen etwa vom gekochten Rindfleisch Bollito di Manzo mit Olivensauce und grünen Kapern bis zum Panforte-Kuchen mit Mandeln und kandierten Früchten. Einer der bekanntesten Weine aus der Region dürfte neben dem roten Chianti der weiße Vernaccia aus San Gimignano sein. Information: Offizielle Tourismus-Webseite Toskana www.visittuscany.com/de sowie Italienische Zentrale für Tourismus, ENIT Deutschland, Schaumainkai 87, D-60596 Frankfurt/Main, 069-6860470, www.enit.it.
Service Anreise
Von Deutschland aus gibt es vor allem diese zwei Möglichkeiten, mit dem Auto in die Toskana, sprich: auch nach Siena, anzureisen: Entweder bis Chiasso und den Gotthard-Tunnel durch die Schweiz (bloß die 45-Euro-Jahresvignette wird angeboten, auch wenn man nur ein einziges Mal durch das Land will) und gleich danach auf italienischer Seite an Como vorbei. Oder, landschaftlich genauso schön, aber etwas direkter und weniger stressig, über die Brennerautobahn (Einzelfahrt 11, Mehrfahrtenkarte 66 Euro) durch Österreich, Südtirol und dann weiter an der Gardasee-Region vorbei. Wir haben uns für die zweite Möglichkeit entschieden mit Zwischenübernachtung in Südtirol in Freienfeld bei Sterzing (Hotel Lener, www.lener.it). Von Siena sind es noch etwa 75 Kilometer bis Florenz. in Italien besteht keine Vignettenpflicht auf Autobahnen. Die Maut wird an den entsprechenden Stationen fällig, berechnet sich nach der gefahrenen Strecke. Durch die Toskana führt die wichtigste italienische Bahnstrecke, die Neapel und Rom mit Bologna, Mailand und dem nördlichen Europa verbindet. Einer der Knotenpunkte ist Florenz. Die wichtigsten internationalen Flughäfen Pisa und Florenz.
Technische Daten
(Peugeot 308 SW) Motor: Vierzylinder-Benziner plus Elektromotor vorn. Hubraum: 1,6 Liter. Leistung (Verbrenner, Elektromotor, System): 133/180, 81/110, 165/225 kW/PS. Maximales Drehmoment (Verbrenner, Elektromotor, System): 250, 320, 360 Newtonmeter. Beschleunigung: 7,6 Sekunden von 0 auf Tempo 100. Höchstgeschwindigkeit: 234, im Elektromodus 135 Stundenkilometer. Antrieb: Front. Getriebe: Acht-Stufen-Automatik. Elektroreichweite: 56-57, innerstädtisch 63-64 Kilometer. Umwelt: Testverbrauch laut Bordcomputer 5,3 Liter pro 100 Kilometer, nach WLTP kombiniert 25-26 Gramm Kohlendioxidausstoß pro Kilometer bei angegebenen 1,1-1,2 Litern Mixverbrauch. Abgasnorm: Euro-6d. Grundpreis: Laut Testwagenbeiblatt 46 500, mit Sonderausstattungen 51 220 Euro.
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KoCom/Fotos: Günther Koch
24. November 2023