Freitag, 19. April 2024

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Gute Reise!

"Eine Dame lebt in Venedig, / die ist mit achtzig noch ledig. / Sie beklagt sich nicht, / sie lächelt und spricht: / „Vielleicht war das Schicksal mir gnädig.“

Die Limericks, die Sie an dieser Stelle immer lesen, stammen alle von Ole Haldrup. Sein „Buch der Limericks“ (2003), dazu „Lirum, Larum, Limerick“ (2004) und „Das Geheimnis der fünften Zeile" (2007) sind zu beziehen über: Nereus-Verlag, Susanne Happle, Johann-von-Werth-Straße 6, 79100 Freiburg, Telefon 0761-403802, nereus-verlag @gmx.de. (gk)

„Ganz oben“

An der Nahe (III) / Gut-Hermannsberg-Chef Achim Kirchner über den Weinbau in der Region

Von Günther Koch/Life-Magazin

Achim Kirchner führt die Geschäfte auf Gut Hermannsberg. Foto: Gut Hermannsberg

Niederhausen – Die Nahe, das bedeutet nicht nur, aber vor allem – Wein! „Ja, der Weinbau hier ist rund 2000 Jahre alt“, antwortet Achim Kirchner auf die Frage, wie und ob der Wein auch hier mit den Römern in die Region gekommen sei. „Die Römerhalle Bad Kreuznach zeugt davon“, verweist der Chef von Gut Hermannsberg in Niederhausen, Jahrgang 1968, gebürtig aus Baden-Baden, auf die vielleicht 15 Minuten entfernt gelegenen Kreis- und Kurstadt. Bereits um 1500 seien Nahe-Weine schon exportiert worden. „Sie sind damit die ältesten Exportweine Deutschlands.“

Was begünstigt Weine von der Nahe von den Böden her?

Achim Kirchner: Kein Anbaugebiet hat eine vergleichbare Bodenvielfalt auf derart engem Raum.

Also gerade für Riesling als Wein eines spziellen Terroirs ein perfekter Standort?

Achim Kirchner: Das kühlere Kleinklima unterstützt diesen Vorzug mit großer Tag-Nacht-Spreizung, langer Vegetationszeit und geringen Niederschlägen. Die Nahe ist perfekt für charakterstarke, herkunftsgeprägte Spitzen-Rieslinge.

Felsen sind typisch für Nahe-Weinlagen. Gut Hermannsberg verfügt über mehrere Terroirs.

Die Traubensorte, die hier vorherrscht, scheint eindeutig zu sein.

Achim Kirchner: Riesling, klar! Die „Große Gewächs-Klassifikation“ des Verbands deutscher Prädikatsweingüter lässt an der Nahe einzig Riesling für die besten Weine zu. Daneben können aber auch die weißen Burgundersorten hervorragende Weine erbringen. Rote Weine spielen kaum eine Rolle. Sekt dagegen findet ideale Bedingungen an der Nahe.

Was zeichnet die Lagen an der Nahe besonders aus?

Achim Kirchner: Die besten sind karge Steillagen, oft aufwendige Handarbeitslagen. Durch die Entstehungsgeschichte wechselt der Untergrund häufig und ist sehr komplex, meist steil und felsig. Die Bearbeitung ist sehr aufwendig.

Bei Hermannsberg handelt es sich um ein Prädikatsweingut. Auch die Böden sind speziell.

Wie würde ein Experte wie Sie die Weine geschmacklich beschreiben?

Achim Kirchner: Vulkanisches Gestein wie Porphyr oder Melaphyr verleiht ausgeprägte Mineralität und typische Kräuterwürze. Das macht die Weine unglaublich reifefähig. Daneben findet man Schiefer und Rotliegendes in Toplagen.

Gibt es ein Kriterium, bei dem sich Nahe-Weine von anderen deutschen Weinen, etwa vom Rhein, von der Mosel, Saar oder von der Ruwer, unterscheiden?   

Achim Kirchner: Nahe-Weine aus den Spitzenlagen besitzen einen ganz eigenständigen Charakter, verbinden Kraft, Komplexität und Eleganz wie in keinem anderen Anbaugebiet. Gegenüber dem Rheingau ist die starke Boden- und Klimaprägung der Nahe-Weine der markanteste Unterschied. An der Nahe entstehen sehr kraftvolle trockene Rieslinge. Die Stärke der Mosel liegt eher in der Filigranität und bei großen edelsüßen Weinen.

Weinpräsentation in der Vinothek. Draußen sind schon die ersten Lesekisten voll.

Wie sind Nahe-Weine qualitativ einzuordnen?

Achim Kirchner: Ganz oben! In fast allen Wettbewerben sind die Nahe-Rieslinge die Gewinner. 100 Punkte vom Weinkritiker Robert Parker sind hier keine Seltenheit.

In Deutschland hat man den Eindruck, dass Riesling oft noch immer weniger geschätzt wird als im Ausland.

Achim Kirchner: Das stimmt, auch wenn sich hier gerade etwas verändert. Es ist deshalb auch kein Zufall, dass ein großer Teil der Spitzenrieslinge ins Ausland exportiert wird.

Per Gabelstapler gelangen die Trauben zur Sortiermaschine. Die Ausstattung ist modern.

Woran liegt das?

Achim Kirchner: Gründe dafür, dass man den Riesling bei uns oft noch immer weniger schätzt als anderswo, dürften wohl sein, dass Riesling im Spitzenbereich sehr fordernd sein kann. Manchen ist das zu kompliziert. Schon die richtige Wahl erfordert ein gewisses Maß an Kennerschaft. Riesling bildet da immer eine eigene Klasse, sei es als leichter Sommerwein oder als gehaltvolles trockenes „Großes Gewächs“ bis hin zu Sekt und Edelsüßen.

In Deutschland ist man internationalen Weinen gegenüber sehr aufgeschlossen ...

Achim Kirchner: ... und vergisst dabei, dass wir großartige Weißweine direkt vor der Haustür kaufen können. Sommeliers wissen das, haben in einer weltweiten Umfrage den Riesling als besten Weißwein der Welt benannt. Aber tatsächlich wird der größere Teil unserer Produktion noch immer in Deutschland verkauft und getrunken, worüber wir froh sind.

Der Wein gelangt in silberglänzenden Tanks genauso zur Reife wie in Holzfässern.

Welches ist denn Ihr persönlicher Lieblingswein?

Achim Kirchner: Unsere Kupfergrube!

Und warum?

Achim Kirchner: Sie ist eine der besonderen Weinlagen, die einen ganz eigenständigen Charakter besitzen und wahrhaft große Weine hervorbringen. Schon wenn man vor dem Weinberg steht, erahnt man die starke Persönlichkeit dieser Weine. Unheimlich komplex und mineralisch, zugleich kraftvoll und elegant. Die Kupfergrube verbindet Gegensätze zu Harmonie, die aber immer spannend bleibt, und das über Jahrzehnte der Reife.

Die Schatzkammer der edelsten Tropfen ist vergittert, strahlt eine ganz besondere Patina aus.

Gut Hermannsberg arbeitet in gleich sieben „Große Gewächs“-Lagen. Was bedeutet das für die Rieslinge von dort?

Achim Kirchner: Dass jeder eine ganz eigenständige Persönlichkeit hat. Die wollen wir herausarbeiten. Daraus ergeben sich die Philosophie und die Aufgaben für das Team.

Der Fokus liegt also zunächst im Weinberg selbst?

Achim Kirchner: Genau da! Handarbeiten, Nachhaltigkeit, biologisches Gleichgewicht, Handlese, Selektion sind nur einige der Überschriften für unsere Arbeit. Im Keller arbeiten wir mit Spontanvergärung und verzichten auf Schönungen. Damit entstehen natürliche, urwüchsige und sehr reifefähige Weine. Alles, was große Weine brauchen, kommt aus dem Weinberg. Das wollen wir im Keller erhalten und in die Flasche bringen!

Zum Weingut selbst gehört auch die Niederhäuser Lage mit Namen Hermannshöhle.

2020 ist ein spannender Jahrgang für alle Winzer gewesen. Warum?

Achim Kirchner: Weil auf einen trockenen und heißen Sommer ein kühlerer Herbst gefolgt ist. Diese wenigen Tage vor der Lese haben dennoch den Charakter des Jahrgangs geprägt. Weine mit viel Mineralität, toller Präzision, Komplexität und Tiefe, die zudem auch noch sehr lagerfähig sind.

Ist schon abzusehen, wie der neue Jahrgang, der 2021er, wohl werden wird?

Achim Kirchner: Nein. Das weiß, zumindest im Moment, nur Gott allein.

Der Kellermeister und der Jahrgang 2020

In seinem Jahrgangsbericht 2020 („Die Weine werden kühler schmecken als in anderen heißen Jahren“) schreibt Gut-Hermannsberg-Kellermeister Karsten Peter ergänzend ...

... zum Weinjahr generell, dass es wie schon in den beiden Jahren zuvor wieder geprägt gewesen sei von einem sehr warmen Sommer, in dem die Weinberge nur wenige Niederschläge bekommen hätten.

... zur etwas kleineren Erntemenge, dass die jedoch zu einer „wunderbaren Konzentration in den Beeren“ geführt habe.

... zum weitaus kühleren Wetter in der Hauptreifephase im September, dass es eine „vibrierende Säure“ gebracht habe, „die die Moste förmlich unter Spannung setzte“.

... zum viel geringeren Wassernachschub für die Reben als „Umstand, der zur Folge hat, dass sich das Wurzelwerk noch tiefer ins Felsgestein orientiert“.

... zu den verschiedenen Stellschrauben in Bezug auf weniger Niederschläge, an denen man gedreht habe, dass so die Wasserverdunstung dennoch reduziert, das Wasserspeichervermögen der Böden deutlich erhöht und so Trockenstress für die Reben vermieden worden sei.

... zur frühzeitigen Einstellung auf ein weiteres Jahr mit Extremwetter und die dadurch resultierende Reduzierung der Entblätterung in der Traubenzone, dass diese dazu beigetragen hätten, dass die ausgeweitete Beschattung deutlich mehr Frische in den Trauben habe erzielen können.

... zu den insgesamt 18 Lesetagen, dass diese ein „rekordverdächtig schneller Herbst“ gewesen seien und das Team so „knapp 2,5 Hektar an nur einem Tag Handlese“ habe schaffen können.

... zur perfekten Beerenreife zum Lesezeitpunkt und zum moderaten Alkoholgehalt bei großartiger Phenol- und Fruchtreife: „Es lebe die mittlere Nahe!“

... zum großen Unterschied bei den Rieslingen zu den Jahrgängen 2018/2019, dass der die „mit Energie geladene Säure“ gewesen sei, die sich durch die extremen Tag-Nacht-Temperaturunterschiede stabil habe entwickeln und dem Jahrgang dadurch eine besondere Eigenständigkeit verleihen können.      

Gut Hermannsberg

... bietet Weine von sieben Einzellagen – Kupfergrube, Bastei, Hermannsberg, Felsenberg, Steinberg, Rotenberg, Rossel – an, dazu verschiedene Sekte. Die Preise beginnen bei 10 Euro, reichen über knapp 12 Euro für den 7-Terroirs-Gutswein und die bei rund 30 Euro beginnenden Großen Gewächse bis hin zu den Reserve-Weinen mit fünf Jahren Reifezeit für 48 und 55 Euro. Große Edelsüß- oder gereifte Schatzkammerweine als Raritäten wie die 2015er-Kupfergrube-Trockenbeeren-Auslese haben laut Gutsleiter Achim Kirchner bei Versteigerungen schon fünfstellige Euro-Beträge erzielen können.

Info Nahe I

Der linke Nebenfluss des Rheins, lateinisch Nava, ursprünglich keltisch für „Wilder Fluss“, hat seine Quelle bei Selbach im Saarland, mündet nach 125 Kilometern bei Bingen in den Rhein, trennt die Mittelgebirge Nordpfälzer Bergland und Hunsrück sowie die Naturräume Saar-Nahe und Hunsrück. Am Lauf der Nahe liegen Ort wie Hoppstädten-Weiersbach, Idar-Oberstein, Kirn, Monzingen, Bad Sobernheim, Niederhausen, Bad Münster am Stein, Bad Kreuznach und Gensingen. Das gesamte Einzugsgebiet, das grob von der Rheinhessischen Schweiz über Donnersberg-Massiv, Nordpfälzer Bergland und Hunsrück bis zum Binger Wald reicht, umfasst 4065 Quadratkilometer. Typisch für die Region ist der häufige Wechsel zwischen engen Tälern mit schroffen Felshängen und weiträumig sanft geformten. Milde Temperaturen, wenig Niederschlag und viel Sonne begünstigen den Weinanbau. Die große Bodenvielfalt verdankt das Tal seiner bewegten, von Vulkanausbrüchen, monsunartigen Regenfällen oder auch trockenem Wüstenklima geprägten Erdgeschichte.  

Info Nahe II

Das Weinanbaugebiet Nahe ist mit rund 4200 Hektar eines der kleinsten und doch vielfältigsten in Deutschland, vereint auf relativ kleiner Fläche die unterschiedlichsten topografischen und geologischen Charakteristika. Mit 8000 Litern pro Hektar steht die Qualität der Weine vor der Quantität. Mehr als 100 Schilder weisen auf 130 Kilometern den Weg zu Winzern in 35 Weinbaugemeinden. Zur Einquartierung empfehlen können wir in Niederhausen das Weingut Hermannsberg (ehemalige Weinbaudomäne, Gästehaus mit elf Doppelzimmern/Appartements/Suiten, stilvoll eingerichtet, inmitten von Weinbergen, www.gut-hermannsberg.de). Die bodenständige, eher herzhaft-deftige Küche der Region ist geprägt vom Einfluss aus Pfalz und Hunsrück. Kulinarische Spezialitäten reichen etwa vom süßen Latwersch-Brotaufstrich als Mus aus Pflaumen oder Zwetschgen mit verschiedenen Gewürzen über gefüllte Klöße und Wildgerichte bis zum Idar-Obersteiner Spießbraten. Getrunken wird neben Bier aus dem regionalen Brauhaus natürlich – Wein. Die Nahe ist für ihre Rieslinge bekannt. Information: Naheland-Touristik, Bahnhofstraße 37, 55606 Kirn, Telefon 06752-137610, www.naheland.net.

Service Anreise  

An die Nahe reist man zu deren mittleren Teil mit dem Auto am besten über die Autobahnen A60 aus Richtung Mainz oder die A61 aus Richtung Koblenz oder Richtung Mannheim/Ludwigshafen bis zur Abfahrt Bad Kreuznach und dann weiter über die B41 und die Landestraße 236 an. Die Bahn führt von Bad Kreuznach direkt an Niederhausen vorbei. Nächstgrößerer Flughafen ist zuletzt der 60 Kilometer entfernte in Hahn im Hunsrück gewesen. Bis zu dem in Frankfurt/Main sind es 85.

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KoCom/Fotos: Günther Koch

29. Oktober 2021