Unter Druck
VW muss nach Holperstart des neuen Golf jetzt mit Elektro-ID3 liefern / Ab September im Handel
Von Günther Koch/Life-Magazin
Mit Kontrastdach: Der neue VW ID3, hier die Erstauflage, tritt im Kompaktsegment an. Fotos: Koch
Hannover/Wolfsburg- Der Druck scheint in vielerlei Hinsicht groß, erhöht noch durch Corona: Weil schon die achte Golf-Generation Ende 2019 trotz offensichtlicher Software-Problemen mit aller Macht noch in den Markt gedrückt worden ist und in der Folge wohl auch der Absatz enttäuscht hat, muss der neue ID3 jetzt unbedingt laufen! Der im Umfeld etwa von Nissan Leaf oder Kia e-Niro unterwegs befindliche vollelektrische Kompakt-VW ist für die Kernmarke des Volkswagen-Konzerns auch deshalb wichtig, weil es sich bei ihm „nicht nur um ein neues Fahrzeug“ handelt, sondern, so Jochen Tekotte, Sprecher der Baureihe E-Mobility bei VW, jetzt bei der Fahrvorstellung von Hannover nach Wolfsburg, ähnlich wie beim ersten Käfer und beim ersten Golf um den „Beginn einer neuen Ära“. Statt im Sommer kommt der ID3 aber erst im September in den Handel. Und die Wolfsburger kündigen außerdem noch Nachreichungen an.
Ausbaufähig in weitere Segmente
Das Auto: ID ist so etwas wie die neue Elektromarke von VW. Die Zahl 3 deutet laut Christine Leuderalbert aus dem Produktmarketing auf die „Ausbaufähigkeit in die Segmente darunter und darüber“ hin. Der ID3 selbst, 4,26 Meter lang, 1,80 Meter breit, 1,55 Meter hoch, Kofferraum 385 bis 1267 Liter, große Ladefläche dank umklappbarer Rücksitzlehnen und Durchlade, ist das erste Modell auf dem modularen Elektro-Antriebsbaukasten, der ebenfalls von anderen Konzernmarken genutzt werden kann. Selbst Ford darf einen eigenen Stromer auf dieser Basis bauen. Vom futuristischen Äußeren her, an das man sich wird gewöhnen müssen, mutet der Elektro-VW fast puristisch an, weist aber eine klare Linienführung und Formensprache mit kurzen Überhängen vorn und hinten auf. 2,76 Meter Radstand sorgen im luftigen Inneren, in dem ID-Licht optisch mit den Passagieren kommuniziert, für viel Platz. Insbesondere Bein- und Kopffreiheit im Fond können sich sehen lassen. Die Bedienung findet meist über Multifunktionslenkrad, Zehnzoll-Touchscreen oder Sprachsteuerung statt. Die Anmutung verwendeter Materialien könnte bisweilen etwas wertiger, die Sicht nach hinten besser sein.
Blick auf die Frontpartie mit dem Markenlogo vorn in der Mitte.
Aktualisierungen nachträglich ins Auto holen
Die Ausstattung: Die schon mit Navigation, Digitalradio, automatischer Distanzregelung samt Geschwindigkeitsbegrenzer, Abbiegebremsfunktion, Ausweichunterstützung und 18-Zoll-Leichtmetallrädern mit 215er-Reifen umfangreicher bestückte Erstauflage ab 38 986 Euro ist für die Vorbesteller. Die für die seit 20. Juli bestellbaren Versionen Life, Business, Family, Style, Tech, Max und Tour fangen bei 35 574 Euro an. Für Deutschland kommen noch zwei Pakete für die hinzu, die laut Leuderalbert nur das Nötigste wollen. Die Ausstattungen betreffen die Themen Design, Infotainment, Komfort, Assistenz und Sport, beinhalten Bestandteile wie LED-Matrix-Scheinwerfer oder das Headup-Display, das wichtige Informationen scheinbar dreidimensional auf die Windschutzscheibe projiziert. Die Extras reichen von der Zweizonen-Klimaautomatik bis zu den Adaptivdämpfern. Infotainment und Vernetzungsservices sollen den ID3 noch vielseitiger machen. Bis hin zum Travel Assist, der den Wagen beschleunigen sowie Fahrspur und Abstand halten kann, stehen moderne Elektronikhilfen zur Verfügung. Die Software der Elektronikarchitektur erlaubt, Aktualisierungen nachträglich ins Auto zu holen.
58- oder 77-Kilowattstunden-Batterien stehen zur Wahl. Das Cockpit ist schnörkellos-futuristisch.
Zunächst zwei 204-PS-Modellvarianten mit unterschiedlichem Akku
Der Antrieb: Der leer immerhin doch 1794 bis 1934 Kilo schwere ID3 fährt zunächst in zwei 204 PS und 310 Newtonmeter Drehmoment starken Modellvarianten vor. Es sind dies die Versionen Pro Performance mit einem 58-Kilowattstunden-Akku für bis zu 426 Kilometer Reichweite und ab 40 936 Euro der Pro S mit einer Batterie mit 77 Kilowattstunden Netto-Energiegehalt für bis zu 549 Kilometer, jeweils nach dem realistischeren WLTP-Messverfahren. Ein 146-PS-ID3 und eine kleinere 45-Kilowattstunden-Batterie für rund 330 Kilometer folgen. Die mit einem Eingang-Getriebe kombinierte Elektromaschine befindet sich im Heck, treibt die Hinterräder an, gewinnt beim Verzögern Energie zurück und speist diese in die tief im Boden des Fahrzeugs platzierte Hochvoltbatterie ein. Die Beschleunigung gibt VW je nach Variante mit 7,3 oder 7,9 Sekunden auf Tempo 100 an, die höchste Geschwindigkeit jeweils mit 160 Stundenkilometern.
Heck-/Seitenansicht des fünftürigen Fünfsitzers mit Markenlogo und Modellkennung hinten.
Tiefer Schwerpunkt sorgt für agileres Handling
Das Fahren: Gleich vorweg: Um mit Bedienung und Anzeigen vertraut zu werden, sollte man sich in jedem Fall etwas Zeit nehmen! Das Zentraldisplay scheint nicht gänzlich blendfrei zu sein. Bis zuletzt haben wir darin die „Zurück“-Taste vermisst. Angaben wie Gesamt- oder Tageskilometer sind darüber hinaus offenbar in speziellen Untermenüs versteckt. Die Leiste mit den Tasten unter dem Touchscreen ist wie beim Golf leider unbeleuchtet. Elektronische Hilfen nerven, wenn man sie nur sehr umständlich deaktivieren kann. Selbst die Einstellung der Außenspiegel könnte erst im zweiten Anlauf klappen. Dafür ist das Fahren ein Genuss! Innen geht es leise zu. Das Fahrwerk federt komfortabel. Ab der ersten Umdrehung des Elektromotors tritt der ID3 überaus durchzugsstark an. Der weit unten sitzende Akku sorgt mit dem niedrigeren Schwerpunkt im Verbund mit der bestmöglichen 50:50-Gewichtsverteilung für ein wendiges, zugleich sehr agiles Handling. Mit dem ID3 kann man nicht nur schnell fahren, er lässt sich auch ziemlich handlich bewegen. Die Elektronik schaut weiter voraus. Die elektrische Motorbremse verzögert stärker, gewinnt so auch mehr Kraft zurück.
Das Gepäckabteil fasst 385 bis 1267 Liter. Und so sieht der ID3 von der Seite aus.
Mit dem Elektro-SUV ID4 geht es weiter
Alles in allem: Die Software – siehe Golf – wird offenbar immer komplizierter. So will VW jedenfalls auch den ID3 elektronisch noch nachrüsten. Das erste Mal sogar noch mittels Besuch beim Händler. Danach sollen alle Updates „over the air“ möglich sein, also über Funkschnittstelle. Betroffen von den Nachreichungen sind laut VW-Sprecher Tekotte etwa der Fernbereich der „erweiterten Realität“ im Headup-Display sowie die App-Vernetzung. Was die angegebenen Preisen betrifft, gehen aktuell noch 9480 Euro Brutto-Förderung für Autos wie den ID3 ab. VW lockt zudem mit einem Jahr Kostenlos-Strom. Die ID3-Herstellung im sächsischen Zwickau erfolgt nach Angaben der Wolfsburger bereits jetzt „bilanziell CO2-neutral“. Bis 2029 will Volkswagen auf Konzernebene bis zu 75 reine Elektromodelle auf den Markt bringen und in dieser Zeit rund 26 Millionen Elektrofahrzeuge verkaufen. Wozu auch der ID4 von VW gehört, ein SUV mit bis zu 500 Kilometern Reichweite, Heck- oder elektrischem Allradantrieb, der schon 2021 starten soll. Der ab 31 900 Euro teure 136-PS-Elektro-Golf, zuletzt noch immer aufgeführt, dürfte nach dem Abverkauf dann aber nicht mehr im Programm sein.
Datenblatt
Motor: Elektro. Leistung: 150/204 kW/PS. Maximales Drehmoment: 310 Newtonmeter. Beschleunigung: Je nach Variante 7,3 oder 7,9 Sekunden von 0 auf Tempo 100. Höchstgeschwindigkeit: 160 Stundenkilometer. Batteriekapazität: 58 oder 77 Kilowattstunden. Reichweite: Bis zu 426 oder bis zu 549 Kilometer. Anschlussreichweite: Laut VW 30 Minuten Schnellladen für rund 290 oder 350 Kilometer. Ladedauer zu Hause: Laut VW 6 Stunden 15 Minuten oder 7 Stunden 30 Minuten. Preis: 35 574/40 936 Euro (Pro Performance/Pro S), 38 986 Euro (Erstauflage).
KoCom/Fotos: Günther Koch
31. Juli 2020