Wenn der Muezzin ruft
Eine Reise ins reiche Emirat Qatar und in seine Millionenmetropole Doha, die einst ein Dorf war
Von Kurt Sohnemann/Life-Magazin
Eine Legende: Saad Ismail Al Jassi, 85, gilt als Qatars ältester noch aktiver Perlentaucher. Fotos: Sohnemann
Doha – Manchmal hat man Glück, vor einer Reise keinen Wecker einpacken zu müssen. Entweder kräht der Hahn bei Sonnenaufgang, bis er eines Tages im Kochtopf landet, oder ein Minarett ist in der Nähe, aus dem der Muezzin zum Morgengebet ruft. Dann verbietet es zivilisierte Kultur, an Küchenwerkzeuge zu denken und es ist besser, morgenländische Rituale zu akzeptieren, sich dem Leben der Gastgeber anzupassen. So wie in Doha, der Hauptstadt des Emirats Qatar, das als eines der reichsten Länder der Erde gilt.
Einst unscheinbare Siedlung
In den vergangenen 30 Jahren hat es die ehemalig unscheinbare Siedlung zu einer Millionenstadt gebracht. Aber gerade der Ursprung dieser pulsierenden Stadt hat seinen besonderen Reiz. Aufgewacht in einem der Hotels der Tivoli-Gruppe, inmitten des Souq Waqif, steht man vor der Tür direkt im Zentrum des Handel(n)s des kleinen Mannes. Hunderte von kleinen Geschäften in den engen Gassen verbreiten ein orientalisches Flair wie in Marrakesch. Nur viel sauberer und ohne jede Befürchtung, auf kriminelle Taten zu stoßen. Denn Strolchen drohen wirksame Strafen, die auf der auf dem Koran aufbauenden Handlungsweise des Propheten, der Sunna, basieren und entsprechend abschrecken. Zudem sind nicht nur bei der Einreise am Flughafen Körperscanner im Einsatz, um ungewollte Gestalten fernzuhalten. Auch in Hotels und großen Geschäften finden die Sicherheitsmaßnahmen Anwendung, um letztlich eine Kriminalitätsrate zu haben, von denen andere Länder nur träumen können.
Schillernde Kulisse: Silhouette der Millionenstadt Doha. Sand, Erdgas und Erdöl sorgen für den Wohlstand in Qatar.
Kleiner Flecken Wüstensand
Doha ist eine Stadt, der überall anzumerken ist, dass sie mit Dubai um die Gunst der Touristen buhlt. Merklicher Unterschied ist allerdings, dass in Doha die Fraktion der europäischen Vieltrinker nicht so begehrt ist. Die Gründe für die rasante Entwicklung sind schnell gefunden: Wenn man die Industrieanlagen auf dem nicht einmal 12 000 Quadratkilometer großen Flecken Wüstensand entdeckt, lässt sich leicht ein Bild des Reichtums malen. Das Emirat Qatar ist oberhalb der Gasvorkommen gelegen, die 300 Jahre für die gesamte Menschheit reichen. Ölvorkommen komplettieren die Basis für das Emporschießen verarbeitender Industrie und das schnelle Wachstum der Hochhäuser.
Falken, ganz normal im Laden zu kaufen, gelten als Statussymbole. Blick in die Altstadt von Doha.
Vor schillernder Kulisse
Die Gäste der Hauptstadt am Rande des Persischen Golfs werden nach einem knapp sechsstündigen Flug aus Deutschland von der schillernden Kulisse baulicher Höchstleistungen empfangen und sollten sich nicht über das immer wiederkehrende Konterfei von Tamim bin Hamad Al Thani wundern. Bei den aus Sicht ausländischer Gäste teilweise eigenwillig geschmückten Gebäuden handelt es sich nicht um Geldspeicher des Emirs. „Viele Qatari schmücken ihre Gebäude mit seinem Bild, weil er so viel für die Bevölkerung tut“, erklärt Jamal vom noch jungen nationalen Tourismusrat des Emirats.
Diese der Qatar Foundation gehörende Reithalle ist vollklimatisiert. Der Souq Waqif erwacht bei Dunkelheit zum Leben.
Unter Leitung des Emirs
Natürlich gehört nahezu alles Sichtbare der Qatar Foundation, wobei die unter oberster Leitung des Emirs agiert. Aber die Art und Weise des Regierens ist so moderat, dass sich das Ausmaß der Fangemeinde schnell erklärt. Wer weder Mieten, Steuern, Sozialabgaben oder sonstige Portmonee-Plünderungen abendländischer Regierungskulturen kennt, der ist natürlich schnell zu begeistern! In Qatar leben indes nur etwa zehn Prozent Qataris, der Rest kommt meist aus den Nachbarstaaten, um in dem Emirat Arbeit zu finden und Geld für die Familie zu Hause zu verdienen. Auch er profitiert allem Anschein nach doch merklich von den günstigen Lebensbedingungen in Qatar.
Wertvolles Exponat im Museum für Islamische Kunst. Dieses Fußballstadion wird für die Weltmeisterschaft 2022 gebaut.
Vorbildlich sauberere Stadt
Die Dienstbarkeit hat offensichtlich in morgenländischen Kulturkreisen einen etwas anderen Stellenwert als in Europa. Nicht selten sind gleich mehrere Menschen in kleinen Gruppen zu sehen, die für die Sauberkeit von Gebäuden, Straßen und Plätzen zuständig sind. So hat kein Staubkorn zu viel eine Chance, die vorzeigbare Sauberkeit der Hauptstadt in Misskredit zu bringen. In der Wüste sieht es da ganz anders aus. Dort scheint man sich die deutsche Untugend der Autofahrer abgesehen zu haben, die auf den Autobahnen oder jenseits davon ausgelebt wird. Wenn dort freitags, am freien Tag der muslimischen Glaubensgemeinden, beispielsweise Autorennen stattfinden, die jede Menge Schrott nach sich ziehen, bleibt doch mehr liegen, als es die Augen des Emirs wahrscheinlich gern sehen würden.
Maskottchen Oryx wirbt schon jetzt übergroß für das Fußball-Championat in vier Jahren. Die Al-Fanar-Moschee in Doha.
Sogar Jacuzzi für Pferde
Tamim bin Hamad Al Thani wiederum kann sich eher für Pferdezucht begeistern. Auf der Anlage des Herrschers, der ein Parlament installiert hat, das einer Demokratie zumindest formal ähnelt, frönen 950 edelste Araber-Vierbeiner ihr Dasein. In klimatisierten Ställen, im Schwimmbad, auf dem Laufband oder auch nur zum Berieseln im Jacuzzi leben sie in beneidenswerten Verhältnissen. Um eine optimale Ausbildung zu gewähren, hat der Emir eine Halle bauen lassen, die bei voller Klimatisierung über 3000 Zuschauer fasst, Schauplatz internationaler Reitveranstaltungen ist. Damit die Pferde nicht darben müssen, wird das Heu extra aus dem ebenfalls in Pferde vernarrten US-amerikanischen Bundestaat Kentucky importiert, natürlich nur der erste und beste Schnitt.
Das Museum für Islamische Kunst liegt auf einer künstlichen Insel. Diese Kamele sind für touristische Ausritte da.
Wenn der Flügel zwickt
Wie den Pferden ergeht es den Falken in dem kleinen Emirat. Sie gelten als Statussymbole. So wundert es auch nicht, dass in Doha eigens für sie ein Krankenhaus erbaut worden ist, falls ihnen mal der Flügel zwickt. Wer sich einen Falken kaufen will, der muss umgerechnet mindestens 6000 bis 10 000 Euro auf den Tisch legen. Angeboten werden die Greife wie auch viele andere Tiere für Hof und Pfanne auf dem Souq Waqif. In einem ganzen Straßenzug schmiegt sich in der Enge der Gassen ein Laden an den anderen. Hier lassen sich Textilien kaufen, dort Gewürze. Und fast immer darf gehandelt werden, ein Paradies für mitteleuropäische Flohmarkt-Liebhaber.
Saad Ismail Al Jassi war früher sogar auch einmal Bodybuilder. Pferd auf einem Laufband im Gestüt Al Shabab.
Bei Gold zählt das Gewicht
Die Gasse der Goldhändler nimmt eine besondere Stellung ein. Bei der Pracht der Geschmeide würde jede Elster Probleme mit dem Blutdruck bekommen. Wer etwas davon kaufen möchte, muss lediglich das Goldgewicht bezahlen. Ohne den Stolz auf sich selbst zu portionieren, erzählt einer der letzten aktiven Perlentaucher, Saad Ismail AL Jassim, in einem kleinen Laden von seinen Erlebnissen. Fotos aus seiner Glanzzeit an den Wänden lassen Beobachter staunen und verschämt die Feinkostgewölbe durch Einatmen in sich reduzieren. Der 85-Jährige, der auch Bodybuilder war, zählt zu den Legenden Dohas, wobei er sogar auf einem Wandgemälde der größten Moschee der Stadt verewigt ist.
Qataris vertreiben sich die Zeit beim Brettspiel Dama. Blick ins wohl nobelste Restaurant am Souq Waqif, das Parisa.
Und die Gastarbeiter?
Nun ist Qatar nicht sonderlich positiv aufgefallen, als die Lebensbedingungen von Gastarbeitern beim Bau der Fußballstadien für die Weltmeisterschaft 2022 ans Licht kamen. Eine Dohari erklärt dazu, dass die Aufträge bezüglich der Arenen nahezu alle an ausländische Unternehmen vergeben worden sind. Die zu kontrollieren, sei nicht immer so möglich, wie man sich das wünsche. „Aber der zuständige Minister hat die Kontrollen nochmals verschärft“, versichert Anjabin Siddiqui, die als Managerin für die Souq Waqif Boutique Hotels arbeitet. Die Arbeiten selbst gehen indes gut voran, wobei all die, mit denen wir darüber gesprochen haben, überzeugt sind, dass die Anlagen pünktlich fertig sind. Was auch nicht überrascht, zumal offenbar keine Firma beteiligt ist, die sich am Berliner Flughafen BER versucht. Ebenfalls das im Bau befindliche U-Bahn-Netz soll 2022 vollständig in Betrieb sein. Damit wäre dann der Verkehr der Hauptstadt merklich entlastet, in dem die Taxis einen Großteil des öffentlichen Nahverkehrs übernommen haben. Sie fahren zu Preisen, wie sie in den 1950er-Jahren in Deutschland üblich waren.
Offroad mit Plüschsesseln
„Alles staatlich unterstützt“, lässt Mohammed verlauten, der in einem Unternehmen für Wüstensafaris arbeitet. Sein Arbeitsgerät gehört zur Normgröße der Fahrzeuge. Ein Offroader mit Plüschsesseln für sieben Personen aus japanischer Fertigung, wie fast alle Autos, die auf den großen breiten Straßen des kleinen Emirats zu sehen sind.
Info Qatar I
Das nur etwa 11 630 Quadratkilometer große Emirat an der Ostküste der arabischen Halbinsel am Persischen Golf zählt rund 2,7 Millionen Einwohner, wovon allein knapp eine Million in der Hauptstadt Doha lebt. Nur 270 000 sind geborene Qataris, der Rest hat andere Nationalitäten. Staatsreligion ist der Islam. Die Erbmonarchie ist Ausrichter der Fußball-Weltmeisterschaft 2022. Bei einem Pro-Kopf-Einkommen von umgerechnet knapp 115 000 Euro pro Jahr sind fast alle öffentlichen Einrichtungen kostenlos nutzbar. Von Deutschland aus ist die Destination per Flug in etwa sechs Stunden zu erreichen. Qarar Airways fliegt mehrmals wöchentlich von Frankfurt und München nach Doha. Das Emirat gehört zu den trockensten Gebieten der Erde. Das Klima ist ganzjährig schwül, subtropisch und heiß. Beste Reisezeiten sind März bis Mai und September bis November.
Info Qatar II
Zur Einreise ist ein Reisepass notwendig. Landessprache ist Arabisch, in Zentren kann man sich aber auch ganz gut auf Englisch verständigen. Ein Qatar-Riyal Landeswährung entspricht umgerechnet etwa 0,25 Euro. Der Zeitunterschied zu uns beträgt im Winter plus zwei, im Sommer plus drei Stunden. Zum großen Angebot an Hotels gehören die der Tivoli-Gruppe (www.tivolihotels.com) direkt im Souq Waqif. Auch im Four Seasons (www.fourseasons.com/doha) sind die Preise noch einigermaßen zivil. Als Spezialitäten qatarischer Küche gelten exotisch gewürzte Lamm-, Hühnchen-, Hammel, Fisch- und mit Meeresfrüchte-Gerichte. Getrunken wird meist Kaffee mit Kardamom und Safran, Tee ist auch häufig mit Minze zu haben. Information: Fremdenverkehrsamt Qatar, Deutschland-Büro, Weserstraße 4, 60329 Frankfurt/Main, Telefon 069-9231880, www.visitqatar.qa.
KoCom/Fotos: Kurt Sohnemann
17. Dezember 2018