Abheben zu den Zinnen
Im Hubschrauber über die Bergwelt der Dolomiten / TravelLifeDrive geht in Südtirol in die Luft
Von Andreas Schmidt/Life-Magazin
Es ist eine beeindruckende Welt, die Welt der Südtiroler Berge, hier Schlern- und Rosengarten-Massiv. Foto: Elikos
Pontives – Architekt Le Corbusier und Bergsteigerlegende Reinhold Messner sind sich einig: Die Dolomiten sind das „schönste Bauwerk“ der Welt. Das fand wohl 2009 auch die UNESCO, denn sie hat diesen majestätischen Teil der Alpen damals zum Weltkulturerbe erkoren. Für viele Urlauber Südtirols unbestritten sind die „Drei Zinnen“ die Könige der Dolomiten. Tausende Besucher umrunden die markanten Spitzen jährlich zu Fuß am Boden. Ein noch größeres Erlebnis soll jedoch der Anblick aus der Luft sein …
Am Eingang des Grödnertals
Schon die Anfahrt nach Pontives, einem Bergdorf am Eingang des Grödnertals, rund zweieinhalb Kilometer von St. Ulrich entfernt auf 1100 Metern Höhe, ist ein kleines Erlebnis. Die Straße schneidet sich durch die Bergmassive, windet sich in die Höhe. Dann kommt das kleine Gewerbegebiet in Sicht, in dem sich die Basisstation von Elikos befinden soll. Das Unternehmen bietet Hubschrauber-Rundflüge über die Dolomiten an.
„Vom Flugvirus infiziert“
Doch wo sind die Helikopter? Auf den ersten Blick ist dies nicht ersichtlich. Plötzlich ändert sich die Geräuschkulisse, Rotorengeräusche sind zu hören. Der Lärm schwillt an, wird zu einem Knattern und Heulen – direkt hinter einer Lagerhalle steigt ein blau-weißer Helikopter auf. Schnell gewinnt er an Höhe, das Knattern wird leiser, kurz darauf legt sich wieder Stille über die Kulisse. In der Lagerhalle, die sich auf den zweiten Blick als Hangar entpuppt, begrüßt uns ein freundlich strahlender, braungebrannter Anfang-Fünfziger: „Hallo, ich bin der Gabriel!“ Gabriel Kostner ist – gemeinsam mit Bruder Marco – Inhaber von Elikos. Schon als Kind habe ihn das Fliegen fasziniert, erzählt er. Seit einem Drachenflug sei er „mit dem Flugvirus infiziert“. Doch was macht diese Faszination des Fliegens aus? „Das erlebt ihr besser selbst – dann reden wir nach dem Flug weiter.“
Wie Modelleisenbahn-Kulisse
Am Steuerknüppel des Helis sitzt Neffe Daniel. Sechs Fluggäste nimmt er für die große 50-Minuten-Tour mit an Bord. Wir setzen Kopfhörer auf, die nicht nur vor dem Fluglärm schützen, sondern auch der Kommunikation dienen. Der Pilot fragt, ob jemand Angst hat. Nein, so direkt eigentlich nicht. Nur der achtjährige Felix, der mit seiner Mutter vorn sitzen darf, schaut mit einer Mischung aus Faszination und Skepsis umher. „Keine Angst“, verspricht Daniel, „das wird toll!“ Und schon heben wir ab. Die Nase des Helis senkt sich leicht nach vorn, binnen weniger Sekunden lassen wir die Basisstation und Pontives hinter uns. Es scheint, als wären wir gemächlich unterwegs. Almen, Täler und Dörfer sehen aus, als wären sie Teil einer äußerst realistisch nachgebildeten Modelleisenbahn-Kulisse. „Wir fliegen fast 250 Stundenkilometer“, sagt Daniel. Wir staunen, ungläubig.
Auf, zur Seiser Alm!
Schnell erreichen wir Kastelruth am Fuß der Seiser Alm. Die markante Kirche des Orts – immerhin mit dem drittgrößten Kirchturm Südtirols – schaut aus der Luft wie ein Spielzeug aus. Weiter geht es über die Alm, die mit einer Fläche von etwa 8000 Fußballfeldern die größte Hochalm Europas ist. Dann taucht das markante Profil des Schlern-Massivs auf. Daniel hat zu jedem Dorf, jedem Gipfel und jeder Alm die passenden Geschichten parat. Etwa, dass auf dem Kalksteinmassiv des Schlern die Hexen getanzt haben sollen. Oder die Sage des Zwergenkönigs Laurin zum Rosengarten, als wir das Bergmassiv an- und überfliegen. „Hier unten sind Teile der Serie ,Die Bergpolizei’ mit Terence Hill gedreht worden“, erzählt Daniel, als wir über den Pragser Wildsee mit seinem blau-grünen Wasser gleiten. Der Schauspieler ist in Italien, wozu Südtirol gehört, immer noch sehr beliebt, die Serie war ein Publikumshit. „Danach konnte sich der Ort vor Touristen nicht mehr retten – der Stau war ewig lang.“ Mittlerweile sei aber wieder etwas mehr Ruhe eingekehrt.
Wo sich Soldaten verschanzten
Auch Schattenseiten der Südtiroler Bergwelt offenbaren sich selbst während unserer Himmelstour: Wiederholt sind Schützengräben oder Tunnelöffnungen zu sehen, in denen sich Soldaten während des Ersten Weltkriegs verschanzt hatten. „Es findet sich nach wie vor allerhand Ausrüstung, selbst Granaten oder Munition geben die Berge immer noch frei.“
„Wunderschön, oder?“
Nach gut 20 Minuten tauchen die „Drei Zinnen“ auf. Ein wenig scheinen sie sich an diesem Morgen noch zu zieren, sind leicht in Wolken gehüllt. Doch Gabriel hatte schon im Hangar per Webcam einen Blick auf die markanten Berge geworfen und versprochen: „Ihr werdet sie genießen können!“ Tatsächlich tauchen die Spitzen des Gebirgsstocks, dessen höchste Erhebung fast 3000 Meter misst, langsam aus den Wolken auf, die Sonne umschmeichelt die mächtigen Berge. Unten auf dem Boden sind, ameisengleich, Wanderer zu sehen, die sich bereits aufgemacht haben, die Berge zu umrunden. „Wunderschön“, fragt Daniel, „oder?“ Die „Ahs“ und „Ohs“, die seine Passagiere von sich geben, machen diese Frage fast überflüssig.
Stein gewordene Geschichte
Der Pilot erzählt, dass die Zinnen ihr Aussehen immer wieder verändern. „Das Dolomit-Gestein ist spröde und nimmt Wasser auf“, weiß er. Im Winter könne es immer wieder vorkommen, dass durch den Frost das eingedrungene Wasser eine wahre Sprengkraft entwickle und dann tonnenschwere Felsbrocken abbrechen würden. Besonders prägnant sei dies einmal am „Einserkofel“ ebenfalls im Naturpark „Drei Zinnen“ gewesen: Im Oktober 2007 sind dort demnach rund 60 000 Kubikmeter Stein gewordener Geschichte abgerutscht, aber verletzt wurde damals glücklicherweise niemand. In Sekundenbruchteilen verschwand, was die Natur in Jahrmillionen aufgebaut hat. „So schön die Bergwelt ist“, sagt Daniel, „sie birgt auch immer Gefahren.“
Und Felix juchzt vor Freude
Immer wieder lenkt der Pilot die Augen seiner Fluggäste auf nahezu winzige Details. Etwa auf Mini-Berghütten, die Bergsteigern im Notfall Schutz bieten können. Und Daniel macht Scherze, von denen vor allem der kleine Felix profitiert. Einmal nimmt Daniel den Steuerknüppel des Helis – unbemerkt von Felix – zwischen die Beine, sagt „Beugt euch alle mal nach vorn“. Als die Fluggäste seinem Kommando folgen, drückt er den Steuerknüppel mit den Knien nach vorn. Der Hubschrauber folgt dem Befehl, kippt nach vorn – und Felix juchzt vor Freude.
Von Cortina zum Sennes Fanes
Wir fliegen über den bekannten Wintersportort Cortina d’Ampezzo, über Langkofelgruppe, Fassatal und Marmolata, die „Cinque Torri“, den Naturpark Sennes-Fanes. Nach knapp einer Stunde landen wir wieder in Pontives. Gabriel erwartet uns. „Und? Hab‘ ich zu viel versprochen?“ Wer die Dolomiten aus dem Hubschrauber heraus erlebt, kann die Infektion mit dem „Flugvirus“ durchaus verstehen.
Info Südtirol I
Südtirol oder Alto Adige, Italiens nördlichste Provinz, bildet mit dem /Trentino eine rund 7400 Quadratkilometer große autonome Region, zählt über eine halbe Million Einwohner. Hauptstadt ist Bozen/Bolzano. Lange gehörte die Region an der Südseite der Alpen zur Habsburger Monarchie. Die Mehrheit spricht Deutsch, gut ein Viertel hat Italienisch als Muttersprache, in den Dolomiten wird teilweise noch Ladinisch gesprochen. Wichtige Städte sind zudem Leifers/Laives, Meran/Merano und Brixen/Bressanone. Der höchste Berg ist mit 3905 Metern der Ortler. Klimatisch geht es in den Tälern relativ mild zu, in den Bergen im Winter alpin. Wer Rundflüge unternehmen will: Elikos bietet sie für 15 bis 50 Minuten zu Preisen ab 110 bis 300 Euro pro Person an, fliegt sogar Skifahrer in die Skigebiete, aus denen sie dann selber auf ihren Skiern wieder zurückfahren können. Information: Elikos Hubschrauberservice, Pontives 26/A, I-39040 Lajen/Südtirol. Telefon 0039-(0)-335-788014 oder -150, www.elikos.com.
Info Südtirol II
Als Hotel können wir für einen längeren Aufenthalt in Nova Levante/Welschnofen das Engel Spa & Resort (Vier-Sterne-Superior-Herberge, alpenländisch-behaglicher Landhaus-Stil, Gourmetrestaurant, großer Wellnessbereich, www.hotel-engel.com) empfehlen. Die Küche in Südtirol etwa vom Speck über Merende-Brotzeit bis hin zu den Ravioli-ähnlichen Schlutzkrapfen gilt als bodenständig-bäuerlich mit italienischen und österreichischen Einflüssen. Namhafte Südtiroler Weine wie Terlaner oder Traminer kommen (nicht nur) vom Kalterer See. Information: Italienische Zentrale für Tourismus Enit, Barckhausstraße 10, 60325 Frankfurt/Main, Telefon 069-237434, www.enit.de. (gk)
Service Auto
Wer mit eigenen Wagen anreisen will, am besten über die Brennerautobahn: Von München sind es über Garmisch-Patenkirchen, Mittenwald, Innsbruck, Sterzing/Vipiteno und Brixen/Bressanone noch etwa 240 Kilometer bis Pontives, ab Füssen über Reutte noch gut 200. In Orten ist in Italien 50, außerhalb 90, auf Schnellstraßen 110, auf Autobahnen Tempo 130 erlaubt. Die Promillegrenze liegt bei 0,5. Maut ist auf etwa 80 Strecken im Land zu bezahlen. Bozen verfügt über einen Bahnhof, hat sogar einen kleineren Flughafen, die nächstgrößeren Airports sind Innsbruck oder Verona.
KoCom/Fotos: Andreas Schmidt/Elikos
29. April 2018