Im Schatten der Giganten
Nicht weit von Rimini führt Cesenatico, der Badeort an der Adria, ein fast noch idyllisches Dasein
Von Kurt Sohnemann/Life-Magazin
Der Hafen von Cesenatico ist von Leonardo da Vinci geplant worden. Foto: Sohnemann
Cesenatico - Für einen Italiener ist Romano Rossi ziemlich wortkarg. Vielleicht liegt das an seinem Beruf. Er ist Banker und gibt auch freimütig zu, dass er sein Geld in Luxemburg belässt, wo er die meiste Zeit seines Lebens gearbeitet hat. Es ist natürlich zweifelhaft, ob er wirklich Romano Rossi heißt, weil kein Italiener freiwillig über Finanzgeschäfte redet, ohne gleich die Finanzpolizei im Nacken zu wissen. Aber dass er jetzt einen besseren Ort für sein Rentenalter als Luxemburg gefunden hat, liegt nicht nur an seiner Heimatliebe. Er ist mit Herz und Seele dem früheren Fischerdorf Cesenatico verbunden, das im Schatten der Tourismusgiganten hier an der Adria etwa 20 Kilometer vor den Toren Riminis ein idyllisches Dasein führt.
In der Rolle des Fürsprechers
Romano, so nennen ihn jedenfalls alle anderen Italiener auf der Kaimauer am Hafen, lamentiert über politische Rahmenbedingungen für Fischer und findet sich damit gleich in der Rolle des Fürsprechers von einem Dutzend zustimmend gestikulierender Zuhörer. Wer mehr als 65 unterschiedliche Regierungen eines Landes nach dem Zweiten Weltkrieg erlebt hat, wird auch die letzten Jahres seines Daseins noch überleben, beteuert Romano, zeigt mit einer Hand auf ein Netz, das gleichmäßig gespannt über dem Wasser hängt, deshalb auch Waagenetz genannt wird.
Mit schwimmenden Leckerbissen
In Abständen von 15 Minuten lässt es der Hobbyfischer hinab, um nach dem Hochziehen zum wiederholten Mal in Anbetracht der geringen Fischmenge über die Fischereipolitik seines Landes zu schimpfen. Dabei verdrängt er die wunderschöne Umgebung, in der er seinen Lebensabend mit seinem Hobby als Jäger der schwimmenden Leckerbissen verbringt, nur vordergründig. Inmitten der „Leidensgenossen“ genießt er die Sonnenuntergänge und sorgt dafür, dass die Rotweinflaschen geleert wieder in den Kreislauf der Materialien gelangen.
Meer und malerische Hafenkulisse
Nun ist Romano Rossi nur einer derer, die den direkten Kontakt zwischen dem Meer und der malerischen Kulisse des Hafens gesucht und gefunden haben. Es kommen auch Tausende Besucher anderer Nationen, die nicht Fische fangen oder über Politiker schimpfen, sondern bloß ein paar Tage ihres Lebens mit denen teilen wollen, die es gewohnt sind, der Situation immer das Beste abzuringen. Das verdeutlicht sich insbesondere auf den Speisenkarten der Region um Rimini.
Kommt gar nicht aus der Tüte
Es muss nicht immer Parmaschinken sein, der die Herzen und Mägen positiv berührt, es können auch die frischen Meeresfrüchte sein, die in Form von Gambas oder Muscheln auf delikate Weise von den Köchen auf die Teller gezaubert werden. Selbstverständlich immer mit einer Art von Nudeln, die hier nicht aus der Tüte kommen. Dass es so etwas überhaupt auf diesem Planeten gibt, Nudeln aus einem Paket zu holen, scheint nicht einmal in allen Küchen glaubwürdig. Wer in Italien keine Nudeln herstellen kann, lässt sich in Deutschland mit Köchen vergleichen, die sich beim Kartoffelschälen die Finger abschneiden.
Improvisation ist gefragt
Hier in Cesenatico wird vieles improvisiert, beispielsweise gibt es immer noch den Fährmann, der von einer Kaimauer zur nächsten übersetzt, um für knapp einen Euro den Gästen das Laufen zu ersparen, aber das Essen nicht. Essen und Trinken gehört zu den wichtigsten Bestandteilen des Tages der Einwohner – und die machen auch gar keinen Hehl daraus, das Leben ausgiebig zu zelebrieren. Wer in der Provinzstadt mit knapp 26 000 Einwohnern zu Gast ist, sollte nicht das Freilichtmuseum der Schiffe versäumen. Es befindet sich am Ende des Kanals im Hafen, der von keinem geringeren als Leonardo da Vinci geplant worden ist. Die Schiffe selbst kann man sich ganz ohne Eintrittsgeld anschauen. Wie nicht anders an Italiens Küsten zu erwarten, säumen zahlreiche Lokale den malerischen Hafenbereich.
In Bikini und Badehose
Nicht weit entfernt von der Fisch- und Warenwirtschaft zu Wasser lädt der weiße Strand der kleinen Stadt in der Emilia-Romagna zum Baden in der Adria ein. Die Läden längs blühen bei zunehmender Sonne auf wie Sommersprossen, versorgen die Besucher in Bikini und Badehose mit allen Genüssen der Saison, die für einen kleinen Abstecher an Land unentbehrlich sind. Ebenfalls schnell erreichbar sind die Geschäfte der Stadt selbst, die sich an der Promenade landeinwärts erstrecken. Dort lassen sich in aller Regel auffallend viele Verkehrsteilnehmer auf Rennrädern sehen. Ein klarer Fall von Verehrung des berühmtesten Sohnes von Cesenatico, des Radrennfahrers Marco Pantani, für den es ein Denkmal in der Stadt gibt, der 2004 gestorben und nicht ganz frei von Dopingvorwürfen geblieben ist. Letztere will man hier aber gar nicht hören, beschränkt sich stattdessen auf eine beliebte und vor allem ungeahndete Dopingvariante, auf Kräuterschnäpse, die offensichtlich zu jedem Gericht oder Thema passen.
Info Cesenatico I
Der Badeort im oberen Bereich der italienischen Adria gehört zur Region Emilia-Romagna und zur Provinz Forli-Cesena. Stadtteile wie Valverde oder Villamarina sind vom Familientourismus geprägt. Als Wahrzeichen der rund 26 000 Einwohner zählenden Stadt gelten das Hochhaus Grattacielo mit seinen 38 Stockwerken und das Grandhotel Cesenatico. Der Hafen ist offenbar schon von Leonardo da Vinci so geplant worden, dass ihn seine Form weitgehend vor Versandung schützt. Er teilt die Stadt zudem in die Zone Ponente im Norden und Levante im Süden. Nach San Marino und Ravenna ist es nicht weit.
Info Cesenatico II
Der Blaufisch Pesce azzurro zählt zu den typischen Produkten an diesem Teil der Küste. Wichtige gastronomische Veranstaltungen sind „Azzurro come il pesce“ im Frühjahr und „Il pesce fa festa“ im Herbst. Was den Wein betrifft: Aus der Emilia kommt der Lambrusco, in der Romagna werden vor allem der rote Sangiovese und der weiße Albana angebaut. Auch was Cesenatico und die Region um Rimini betrifft, hat der Reisespezialist Olimar (www.olimar.de) über die üblichen Touristenziele hinaus besondere Ausflüge im Programm. Information: Italienische Zentrale für Tourismus Enit, Barckhausstraße 10, 60325 Frankfurt/Main, Telefon 069-237434, www.enit.de.
Service Auto
Wer mit dem Auto anreisen will: Von München sind es etwa über Innsbruck durch Südtirol und das Trentino an Verona, Mantua, Modena und Forli vorbei noch gut 640 Kilometer bis Cesenatico an der Adria. In Orten ist in Italien 50, außerhalb 90, auf Schnellstraßen 110, auf Autobahnen Tempo 130 erlaubt. Die Promillegrenze liegt bei 0,5. Maut war zuletzt auf rund 80 Strecken im Land zu bezahlen. Die von Cesenatico aus nächsten größeren Flughäfen sind Bologna und Venedig.
KoCom/Fotos: Kurt Sohnemann
28. August 2017