An der Weichsel entlang
Krakauer Trilogie (II): Nationalheld, Kloster und ein kleines Paradies auf Erden / Ein Radausflug
Von Günther Koch/Life-Magazin
Vor der Klosterkirche der Benediktinerabtei Tyniec. Fotos: Koch
Krakau – Radfahren in Krakau? „Die Stadt hat ein sehr altes Zentrum“, sagt Marcin Dumnicki, „das mit dem Rad aber sehr leicht zu erreichen ist.“ Mit seinen Mitstreitern von der „Stadt der Räder“-Organisation „Miastem Rowerow“ setzt sich Marcin für die Belange von Radfahrern in Krakau ein. Der Radweg von der östlichen Arbeitervorstadt Nova Huta ins Zentrum und weiter nach Westen ist schon fertig. Was noch fehlt, ist der von Norden nach Süden. Auch die Verbindungen zu anderen Stadtvierteln sollen besser werden. Dass sich bei einem Referendum vor drei Jahren über 85 Prozent für mehr Radwege ausgesprochen haben, sieht Marcin als Auftrag an die Stadt, noch mehr davon zu bauen. Ginge es nach ihm, würde Krakau sowieso zum „Amsterdam von Polen“ werden, wenn auch freilich ohne Grachten …
Hauptverkehre teils schon getrennt
Gleich bei unserem Hotel, dem Vienna House Chopin, etwas außerhalb der Altstadt direkt gegenüber der Oper, sind die Hauptverkehre wenigstens schon einmal teilweise voneinander getrennt. Oben die Autos, erläutert der Radwegebeauftragte der Verwaltung, Marcin Wojcik, unten Straßenbahn, Fußgänger und Radfahrer. An diesem Sonntagvormittag ist noch nicht allzu viel los, aber auch tags darauf im normalen Berufsverkehr scheint das Dreifach-Miteinander auf der unteren Ebene irgendwie zu funktionieren.
Begleiter: (von links) Monika Olejak, Piotr Kaminski, Basia Polarczyk-Palider. Altstadt-Galerie.
Von der Altstadt einfach Richtung Westen
Vor dem Hotel ist am Morgen ein Auto mit einem Anhänger vorgefahren, auf dem sich mehrere Tourenräder befinden. Kampio-Radreisenorganisator und In-Natoura-Partner Piotr Kaminski prüft zusammen mit Mitarbeiterin Beata Konarska den Reifendruck, stellt Sättel auf die passende Höhe ein, richtet Lenker aus. Wir wollen Krakau und Umgebung erkunden – per Rad. Auf Google Maps hat Basia Polarczyk-Palider vom örtlichen „Bike Me“-Partner dazu die Route schon eingegeben. Wer sie nachfahren will: Sie startet durch die Altstadt, verläuft westlich meist an der Weichsel, polnisch Wisla, entlang bis zur Benediktinerabtei Tyniec. Länge rund 40 Kilometer, reine Fahrzeit etwa zweieinhalb Stunden, Schwierigkeitsgrad – vielleicht bis auf den Abstecher zum Kosciuszko-Hügel hinauf – eigentlich für jeden ganz gut zu schaffen!
Florianska-Straße und -Tor begrenzt das historische Zentrum. Nikolaus-Kopernikus-Denkmal.
Das gilt nicht für Radfahrer: Nie dotyczy!
Am Hauptmarkt in der Altstadt decken wir uns bei einem dem Restaurant Hawelka angeschlossenen Laden, der auch sonntags geöffnet hat, mit ausreichend Mineralwasser ein. „Es könnte ein heißer Tag werden“, schaut Basias Freundin, die Stadtführerin Monika Olejak, in einen azurblauen, fast wolkenlosen Sommerhimmel über Krakau. Je länger wir unterwegs sind, desto mehr Radfahrer und Jogger stellen sich ein. Schon die mitunter etwas schmalen Radwege in der Stadt sind – mit angepasstem Tempo – ganz gut zu befahren. Es gibt Ampeln mit speziellen Anzeigen für Radfahrer. Und das „Einfahrt verboten“-Schild in entgegengesetzter Richtung der Einbahnstraßen scheint für sie und heute auch für uns nicht zu gelten, was Zeit und lästige Umwege spart: Nie dotyczy!
Holzkapelle auf dem Weg zu dem später als Festung ausgebauten Kosciuszko-Hügel hinauf.
Mit kurzem Halt am Kopernikus-Denkmal
Wir radeln am Botanischen Garten vorbei, am Universitätsklinikum, biegen nicht weit vom Nonnenklosters Sióstr in weitem Bogen zur Florianskastraße ab, die die Altstadt begrenzt, halten kurz am Denkmal von Nikolaus Kopernikus, dem als Astronom berühmt gewordenen Domherrn, Arzt, Mathematiker und Kartographen, der von 1491 bis 1494 zusammen mit seinem Bruder in Krakau studiert hat. Weiter führt der Weg am Cracovia-Stadion und an den Blonie-Wiesen entlang, auf denen der deutsche Papst Benedikt XVI. 2006 als Nachfolger seines erst im Jahr zuvor verstorbenen polnischen Vorgängers Johannes Paul II. eine Messe gefeiert hat zusammen mit rund einer halben Million Jugendlichen.
General Tadeusz Kosciusko gilt als Nationalheld in Polen. Die Kanone ist ein Ausstellungsstück.
Weiter Symbol der Freiheit und der Unabhänigkeit
Mit dem Rad zu Kosciuszko hinauf zu kommen, das strengt schon an, zumal bei hochsommerlichen Temperaturen über 30 Grad wie an diesem Tag. Monika erzählt, die über 330 Meter hoch über dem Meeresspiegel und über 130 Meter hoch über der Weichsel gelegene Aufschüttung, später von den Österreichern zu einer Festung ausgebaut, ist Anfang der 1820er-Jahre zu Ehren von Tadeusz Kosciuszko (1746-1817) erfolgt. Der Adlige und polnische Nationalheld hat 1777 bis 1783 als General im amerikanischen Unabhängigkeitskrieg gekämpft, die Abschaffung der Sklaverei unterstützt, 1794 in seiner Heimat den Aufstands zur Verteidigung der Verfassung gegen Russland und Preußen angeführt und seine letzte Ruhestätte in der Kathedrale auf dem Wawel gefunden. Auf einer Tafel steht, auch zum Andenken an die damals auf dem Gebiet der gleich drei Teilungsmächte Österreich, Russland und Preußen verstreuten Polen bleibe der über 34 Meter hohe Hügel ein „Symbol der Freiheit und der Unabhängigkeit“.
In der kleinen Kapelle am Aufgang zum Hügel. In Ryszard Madrackis Bistro-Garten nahe am Fluss.
Eine Idylle irgendwo im Niemandsland nah am Fluss
Zurück im Tal. Der Fahrtwind auf dem Damm zu beiden Seiten der Weichsel tut gut. Und in Ryszard Madrackis Freiluftbistro mit kleiner Kunstgalerie fast ohne jeden Nachbarn irgendwo im Niemandsland nahe am Fluss - Adresse 30-376 Krakau, Tyniecka 180 - kann man die Seele baumeln lassen, sich mit Kiszka-Wurst, Zegerka-Rippchen, überbackenen Zapiekanki-Weißbrotstangen mit Champignons, Zwiebeln, Gewürzen oder Kräutern, mit Cremesuppe Zupa Krem, Viya-Pomidor-Salzgurken, natürlich mit gefüllten Pierogi-Teigtaschen und danach, wenn man will, noch mit Nale-Sniki-Pfannkuchen, Lody-Eis oder Czarlotka-Süßspeise stärken.
Wyspa, Insel, haben die Betreiber ihr Refugium mit viel Nostalgie und Entspannung genannt.
Wo die Kamaldulenser noch immer als Eremiten leben
Alles ist in einem idyllischen Garten rund um einen alten Eisenbahnwagon herum aufgebaut. Liegestühle sind aufgestellt, Hängematten zwischen den Bäumen aufgespannt. Wyspa, Insel, hat Ryszard sein kleines Paradies auf Krakauer Erde genannt. Von einem flachen Holzpodest aus mit vier Topfständern an jeder Ecke und bunten Blumen geht der Blick über Schilfgras hinüber zum Kloster Bielany im Wolskiwald, der grünen Lunge der Stadt, wo Kamaldulenser noch immer als Eremiten leben. „Frauen“, sagt Monika, „dürfen da nur zu hohen Kirchenfesten rein!“
Blick zum Eremitenkloster Bielany im Wolskiwald. In der Klosterkirche der Bendiktinerabtei Tyniec.
Ordensfrauen zieht es in die Stille der Kirche zum Gebet
Bei den Benediktinern in Tyniec ist das anders. Vor den Mauern der Abtei, hoch auf einem Kalksteinfelsen am rechten Ufer der Weichsel gelegen, herrscht Volksfeststimmung. An Ständen gibt es Spielsachen, Souvenirs und sonstiges buntes Allerlei zu kaufen. Ein junger Ordensbruder ruft die Gewinner eines Spiels nach vorn, bei dem auch Basia offenbar gerade Glück gehabt hat. In der Klosteranlage selbst ist der Trubel nicht ganz so groß. Im klostereigenen Laden, in dem die Benediktiner eigene Produkte verkaufen, lässt der Betrieb bereits langsam nach. Ordensfrauen zieht es in die Stille der Kirche zum Gebet. Es ist schon später am Nachmittag. Und wir müssen an den doch noch etwas längeren Rückweg denken, auch in der Stadt wieder meist an der Weichsel entlang.
Ausleger am klostereigenen Laden. Drinnen wird, von Polen gern gegessen, Wurst verkauft und …
Der geflutete Steinbruch, der einst ein Arbeitslager war
Hoch über dem Zakrzówek-See, ein zum Naherholungsgebiet umfunktionierter, gefluteter Steinbruch, der im Zweiten Weltkrieg als Arbeitslager gedient hat, in dem angeblich auch der aus dem nahen Wadowice gebürtige Karol Wojtyla, später Bischof von Krakau, Kardinal und zuletzt eben Papst, zum Dienst antreten musste, treffen sich derweil junge Krakauer, gelangen durch ein Loch im Sicherheitszaun auf das Gelände, warten gefährlich nah an die Abrisskante der Klippe vermutlich auf den Sonnenuntergang. Der Steinbruch soll übrigens auch, damals freilich noch als Arbeitslager, Kulisse für den in Krakau spielenden berühmten Film „Schindlers Liste“ gewesen sein.
… natürlich darf Flüssiges (auch Bier) nicht fehlen. Ordensfrauen auf dem Weg in die Kirche.
Spurensuche in Kazimierz und der ehemaligen Fabryka Schindlera
Im Rahmen unserer "Krakauer Trilogie" bereits erschienen ist: "Heiliger Vater! 'Polens Schönste' / Über Wianki, Wawel und Wojtyla / Ein Stadtbummel“ (Teil I). Es folgen: "In der Fabryka Schindlera - Jüdischen Leben in der Lipowa 4 und in Kaszimierz / Eine Spurensuche" (Teil III) sowie ein abschließendes Gespräch mit dem Kampio-Radreisenorganisator und In-Natoura-Partner Piotr Kaminski (Ostródzka Straße 31, 60-461 Poznan/Polen, Telefon 0048-(0)-61-2332794, www.kampio.com.pl ) über das Fahrradfahren in Polen, Titel "Von Kindheit an". Diese Reise ist vom Polnischen Fremdenverkehrsamt in Zusammenarbeit mit der Stadt Krakau und diesem Partner organisiert worden.
Ein junger Ordensbruder im Gespräch. Sie bietet vor den Mauern des Klosters bunte Puppen an.
Info Krakau I
Die Hauptstadt der Woiwodschaft Kleinpolen im Süden zählt rund 800 000 Einwohner, konkurriert mit Lodz, wer hinter Warschau, Luftlinie gut 250 Kilometer nördlich gelegen, folgt. Bei der Region zu beiden Seiten der Weichsel handelt es sich um ein hügeliges, teils sogar gebirgigeres Hochland mit einer ganzen Reihe von Kur- und Urlaubsorten. Für Ausflüge lohnen malerische Jura-Täler, die Hohe Tatra mit Zakopane sowie der kleinere Gebirgszug Pieniny und die Beskiden, an deren Rand in Kalwaria Zebrzydowska sich eine der meistbesuchten Pilgerstätten des Landes befindet. Gleich vier Nationalparks gibt es in der Nähe. Die beiden früheren NS-Konzentrations- und Vernichtungslager Auschwitz und Birkenau, heute Museen, liegen rund 60 Kilometer westlich.
Monika Olejak erläutert die Route. Hoch über dem Zakrzówek-See, einem gefluteten Steinbruch.
Info Krakau II
Der Flug von Frankfurt/Main aus dauert etwa anderthalb Stunden. Mit Englisch, mitunter selbst Deutsch kommt man weiter. Die Sommer in der Gegend sind in der Regel nicht ganz so heiß, die Winter aber durchaus streng. Landeswährung ist nach wie vor der Zloty, wobei ein Euro in der Regel vier Zloty entspricht. Wir waren im Hotel Vienna House Chopin (drei Sterne, 221 Zimmer/Suiten, eher leger, etwas außerhalb der Altstadt gegenüber der Oper, www.viennahouse.com) untergebracht. Schwesterhotel ist das Andel’s by Vienna House Cracow (vier Sterne, 159 Zimmer, geschäftsmäßiger, zentrumsnah, www.viennahouse.com).
Ein Schiff auf der Weichsel vor riesengroßer Autowerbung. Auf einem Radweg an der Weichsel.
Info Krakau III
An Restaurants können wir das Szara Ges (stilvoll, polnische Spezialitäten, am Hauptmarkt, www.szarages.com) und das Delight (modern, leichte mediterrane Gerichte, im Andel’s by Vienna House Cracow) empfehlen. Regionale kulinarische Besonderheiten der auch hier eher deftigen Küche Polens sind etwa geräucherter Oscypek-Schafskäse, Kwasnica-Suppe aus Sauerkrautwasser mit Fleischeinlage und Gemüse, grobe Kielbasa-Lisiecka-Wurst, nicht zu verwechseln mit den bei uns bekannten Krakauern, gulaschähnliches Maczanka und süße Obwarzanek-Kringel. Polen ist Bier-, Wodka- und Sliwowica-Land. Information: Polnisches Fremdenverkehrsamt, Hohenzollerndamm 151, 14199 Berlin, Telefon 030-2100920, www.polen.travel.
Service Auto
Wer mit dem Auto anreisen will: Von Berlin sind es etwa 600, von Dresden noch gut 500 Kilometer. Ab der Grenze führt die Autobahn A4 nach Krakau. Von Süden gelangt man am besten an Pilsen, Prag und Ostrava vorbei dorthin. In Orten ist 50, außerhalb 90, auf Schnellstraßen 100/120, auf Autobahnen Tempo 140 erlaubt. Die Promillegrenze liegt bei nur 0,2. Sogar Busse fahren regelmäßig von Deutschland aus nach Krakau. Ab Berlin gibt es zudem täglich eine direkte Bahnverbindung. Krakaus internationaler Flughafen, benannt nach Papst Johannes Paul II., liegt in Balice gut zehn Kilometer westlich vom Zentrum.
KoCom/Fotos: Günther Koch
9. Juli 2017