Heiliger Vater!
Krakauer Trilogie (I): "Polens Schönste" / Über Wianki, Wawel und Wojtyla / Ein Stadbummel
Von Günther Koch/Life-Magazin
In diesem Haus in der Ulica Kanonicza lebte Karol Wojtyla von 1951 bis 1967. Fotos: Koch
Krakau – „Schön“, hat Jacek gesagt, nachdem wir 2016 das erste Mal in Warschau gewesen sind. Wenn wir wieder nach Polen reisen, sollten wir aber unbedingt nach Krakau fahren. Denn Krakau, früher selbst Hauptstadt von Polen und deshalb mit Warschau wahrscheinlich in natürlicher Rivalität verbunden, sei die schönste Stadt im Land! Findet jedenfalls Jacek.
Benannt nach einem legendären Fürsten
Jetzt sind wir da, wollen Krakau, benannt nach einem legendären Fürsten namens Krak, zunächst zu Fuß und danach die Umgebung mit dem Rad erkunden. Kampio-Radreisenorganisator und In-Natoura-Partner Piotr Kaminski begleitet uns. Radfahren in Polen? Piotr hat den Trend erkannt: "Die Leute wollen raus in die Natur, aktiv sein, was erleben!" Wie an Johannis. Die Krakauer feiern ihr Wianki-Fest. Ähnlich Mittsommer in Schweden tragen Mädchen und Frauen geflochtene Kränze im Haar. In der Altstadt sind Bühnen für Musik unterschiedlichster Stilrichtungen aufgebaut. Bei einem Festival im jüdischen Viertel Kazimierz steht zehn Tage lang jüdische Kultur im Mittelpunkt. Am Abend tritt Deutschland bei der U21-Fußball-Europameisterschaft in Polen im Cracovia-Stadion gegen Italien an.
Pferdekutsche auf dem Hauptmarkt, an dem sich auch die Marienkirche befindet.
Mit mehr als zehn Millionen Besuchern pro Jahr
Wir treffen uns im historischen Zentrum. Auf dem Hauptmarkt und in den Seitenstraßen ist kaum ein Durchkommen. Ob über zehn Millionen Besucher pro Jahr nicht zu viel sind, die Stadt, die selbst nicht einmal eine Million Einwohner zählt, darunter mehr als 200 000 Studenten der verschiedenen Hochschulen, das überhaupt verkraften kann? Die uns begleitende Grazyna Siedlar aus der Verwaltung weiß nicht so recht, wiegt den Kopf hin und her, auf dem auch sie abends beim Essen im Restaurant Szara Ges ein geflochtenes Blumengebinde trägt. „Aber wenn man an die vielen Hotels, die Lokale, die Museen und die ganzen Geschäfte denkt …“
Veit-Stoß-Hochaltar in der Marienkirche. Zu Johannis sind geflochtene Wianki-Kränze gefragt.
Zu jeder vollen Stunde Wächtersignal von der Marienkirche
Sylwia Jeruzal wartet schon. Vom höheren der beiden Türme der für ihren 13 Meter hohen und 11 Meter breiten Veit-Stoß-Altar im Inneren bekannten Marienkirche ertönt gerade, wie schon seit rund 600 Jahren zu jeder vollen Stunde und original geblasen, das Hejnal genannte Wächtersignal. „Eigentlich ein gemütlicher Job mit toller Aussicht“, sagt Sylwia. Aber das Abseilen während der regelmäßig vorgeschriebenen Notfallübungen aus über 80 Metern sei dann doch wahrscheinlich nicht unbedingt jedermanns Sache.
Souvenirverkäufer auf dem Hauptmarkt. Die Arkaden vor den Tuchhallen sind charakteristisch.
Selbst den gottlosen kommunistischen Zeiten bis 1989 getrotzt
Die Kunsthistorikerin zeigt uns den malerischen Hauptmarkt, einen der größten mittelalterlichen in Europa, angelegt schon während der Stadtgründung 1257, unter dem sich heute ein fast 4000 Meter großes Museum mit der Identität von Europas Kulturhauptstadt 2000 befasst. Die Tuchhallen mit den Arkaden davor sind aus den Kramläden der Tuchhändler entstanden. Der Backsteinturm ist das einzig erhaltene Relikt des ehemaligen Rathauses auf dem Markt. Ein paar Gassen weiter breitet sich im Innenhof der ältesten Krakauer Lehranstalt, des Collegium Maius, eine Oase der Ruhe inmitten all des touristischen Trubels aus. Da sind die Verteidigungsbastion Barbakane, das Florianstor, das Slowacki-Theater. Und natürlich die Kirchen und Klöster, von denen es in Krakau eine ganze Menge gibt. Kein Wunder, wir befinden uns schließlich im nach wie vor weitgehend streng katholisch-gläubigen Polen, das selbst den gottlosen kommunistischen Zeiten bis 1989 zu trotzen wusste.
Der alte Rathausturm mit U21-Fußball-EM-Werbung davor. Von oben hat man den besten Blick.
Zu Füßen des Burgbergs in der schmucken Ulica Kanonicza
Für einen älteren Krakauer, mit dem wir oben auf einer Bank auf dem Wawel später darüber ins Gespräch kommen, haben „wohl auch der Glaube und unser Heiliger Vater damals ihren Teil zur Wende beigetragen“, übersetzt die Tochter. Unser Heiliger Vater! An einem Gebäude direkt unterhalb des 230 Meter hohen Burgberg-Plateaus, in der schmucken Ulica Kanonicza, die ein Beispiel dafür sein kann, was sich in Sachen Sanierung und Renovierung in den vergangenen Jahren alles positiv in Krakau verändert hat, hängt von einem Geländer ein Banner herunter. Es zeigt den jungen Geistlichen, 1920 nicht weit entfernt in der Kleinstadt Wadowice geboren, der schließlich nach Krakau zieht, hier studiert, lehrt, Erzbischof und Kardinal wird – und sich dann auf den Weg nach Rom ins höchste Amt macht, das die Katholische Kirche zu vergeben hat, als „Stellvertreter Christi auf Erden“. Unter dem Bild auf dem Banner an dem Museum ihm zu Ehren steht: „Vater Karol Wojtyla, später Papst Johannes Paul II, lebte in diesem Haus von 1951 bis 1967“. Passanten gehen vorbei, manche verbeugen und bekreuzigen sich. „Er wird“, sagt Sylwia, „obwohl schon 2005 verstorben, bei uns noch immer sehr verehrt.“
Gedenktafel für Karol Wojtyla, als Papst in Polen Jan Pawel II. Hinweise auf die Stadtverwaltung.
Seit 1320 insgesamt 37 Krönungen oben in der Kathedrale
Oben, auf dem Wawel, ist der Blick der Bronzestatue des 2014 Heiliggesprochenen, in päpstliche Gewänder gehüllt, die Tiara auf dem Kopf und den Hirtenstab mit dem Gekreuzigten in der Hand, auf die Kathedrale gerichtet. In der seit 1320 37 Krönungen stattgefunden haben, fast alle Könige des Landes ruhen, dazu Stanislaus, einer der drei Schutzheiligen der Stadt, und, für manche Polen vielleicht sogar etwas überraschend, seit 2010 samt seiner Frau ebenfalls der bei einem Flugzeugabsturz im russischen Smolensk ums Leben gekommene, vierte Präsident der Dritten Republik, Lech Kaczynski, gebürtig aus Warschau.
Der Glaube zeigt sich auch in Heiligenbildern. Peter-und-Paul-Kirche mit zwölf Aposteln davor.
Königsschloss ist zweites wichtiges Bauwerk auf dem Hügel
Wenn Gott auf unserer Seite ist, wer ist dann gegen uns? Es heißt, einer der Baumeister habe nach Abschluss der Arbeiten am zweiten bedeutenden Bauwerk auf Krakaus wichtigstem Hügel diese Inschrift in Anlehnung an einen Bibelspruch über einem der Tore des Königsschlosses anbringen lassen. Die Frage wirkt nach in diesem Moment beim Blick hinunter auf die Stadt und die Weichsel. Es könnte durchaus hier oben gewesen sein, wo sich Jaceks Eindruck von Polens schönster Stadt wenn nicht überhaupt erst herausgebildet, so doch wenigstens weiter verfestigt hat. Er müsste es jedenfalls wissen, selbst wenn er inzwischen schon länger in Deutschland lebt. Jacek kommt aus Krakau. Wo zu Johannis bei Einbruch der Dunkelheit auf der Weichsel die ersten Wianki-Kränze schon dem Höhepunkt des Festes entgegen treiben, dem Feuerwerk. Von Schwimmkerzen begleitet und mit vielen persönlichen Wünschen versehen …
Straßenmusiker in der Altstadt. Hier lässt sich bestimmt sehr gut über Bücher diskutieren.
Mit dem Rad die Weichsel entlang und zur Fabryka Schindlera
Es folgen im Rahmen unserer "Krakauer Trilogie" noch: "An der Weichsel entlang - Nationalheld, Kloster und ein kleines Paradies auf Erden / Ein Radausflug" (Teil II) sowie "In der Fabryka Schindlera - Jüdischen Leben in der Lipowa 4 und in Kaszimierz / Eine Spurensuche" (Teil III). Ein Gespräch mit dem Kampio-Radreisenorganisator und In-Natoura-Partner Piotr Kaminski (Ostródzka Straße 31, 60-461 Poznan/Polen, Telefon 0048-(0)-61-2332794, www.kampio.com.pl ) über das Fahrradfahren in Polen, Titel "Von Kindheit an", rundet die Artikelfolge ab. Diese Reise ist vom Polnischen Fremdenverkehrsamt in Zusammenarbeit mit der Stadt Krakau und diesem Partner organisiert worden.
In der Ulica Kanonicza mit Blick auf den Wawel hinten. Papststaue auf dem Burgberg-Plateau.
Info Krakau I
Die Hauptstadt der Woiwodschaft Kleinpolen im Süden zählt rund 800 000 Einwohner, konkurriert mit Lodz, wer hinter Warschau, Luftlinie gut 250 Kilometer nördlich gelegen, folgt. Bei der Region zu beiden Seiten der Weichsel handelt es sich um ein hügeliges, teils sogar gebirgigeres Hochland mit einer ganzen Reihe von Kur- und Urlaubsorten. Für Ausflüge lohnen malerische Jura-Täler, die Hohe Tatra mit Zakopane sowie der kleinere Gebirgszug Pieniny und die Beskiden, an deren Rand in Kalwaria Zebrzydowska sich eine der meistbesuchten Pilgerstätten des Landes befindet. Gleich vier Nationalparks gibt es in der Nähe. Die beiden früheren NS-Konzentrations- und Vernichtungslager Auschwitz und Birkenau, heute Museen, liegen rund 60 Kilometer westlich.
Blick auf die Kathedrale auf Krakaus wichtigstem Hügel. Im Innenhof des Königsschlosses.
Info Krakau II
Der Flug von Frankfurt/Main aus dauert etwa anderthalb Stunden. Mit Englisch, mitunter selbst Deutsch kommt man weiter. Die Sommer in der Gegend sind in der Regel nicht ganz so heiß, die Winter aber durchaus streng. Landeswährung ist nach wie vor der Zloty, wobei ein Euro in der Regel vier Zloty entspricht. Wir waren im Hotel Vienna House Chopin (drei Sterne, 221 Zimmer/Suiten, eher leger, etwas außerhalb der Altstadt gegenüber der Oper, www.viennahouse.com) untergebracht. Schwesterhotel ist das Andel’s by Vienna House Cracow (vier Sterne, 159 Zimmer, geschäftsmäßiger, zentrumsnah, www.viennahouse.com).
Reste früherer Gebäude auf dem Grünareal. Blick auf die Weichsel hinunter, polnisch Wisla.
Info Krakau III
An Restaurants können wir das Szara Ges (stilvoll, polnische Spezialitäten, am Hauptmarkt, www.szarages.com) und das Delight (modern, leichte mediterrane Gerichte, im Andel’s by Vienna House Cracow) empfehlen. Zu den regionalen kulinarischen Besonderheiten der auch hier eher deftigen Küche Polens gehören etwa geräucherter Oscypek-Schafskäse, Kwasnica-Suppe aus Sauerkrautwasser mit Fleischeinlage und Gemüse, grobe Kielbasa-Lisiecka-Wurst, die aber nicht zu verwechseln ist mit den bei uns bekannten Krakauern, sowie gulaschähnliches Maczanka und süße Obwarzanek-Kringel. Polen ist insgesamt mehr Bier-, Wodka- und Sliwowica-Land. Information: Polnisches Fremdenverkehrsamt, Hohenzollerndamm 151, 14199 Berlin, Telefon 030-2100920, www.polen.travel.
Service Auto
Wer mit dem Auto anreisen will: Von Berlin sind es etwa 600, von Dresden noch gut 500 Kilometer. Ab der Grenze führt die Autobahn A4 nach Krakau. Von Süden gelangt man am besten an Pilsen, Prag und Ostrava vorbei dorthin. In Orten ist 50, außerhalb 90, auf Schnellstraßen 100/120, auf Autobahnen Tempo 140 erlaubt. Die Promillegrenze liegt bei nur 0,2. Sogar Busse fahren regelmäßig von Deutschland aus nach Krakau. Ab Berlin gibt es zudem täglich eine direkte Bahnverbindung. Krakaus internationaler Flughafen, benannt nach Papst Johannes Paul II., liegt in Balice gut zehn Kilometer westlich vom Zentrum.
KoCom/Fotos: Günther Koch
7. Juli 2017