„Und wandle still“
Deutschland ist schön: In der Lüneburger Heide bei Schneverdingen mit Ausflug zum Wilseder Berg
Von Günther Koch/Life-Magazin
Heideschäfer samt Hütehunden bei einer Rast in der Heide bei Wilsede. Foto: Koch
Schneverdingen – Schon der Name klingt nach Entschleunigung: Lüneburger Heide! Da verliert selbst der zwölf Kilometer lange Stau auf der Autobahn A7 in Fahrtrichtung Norden zwischen Schwarmstedt und Dreieck Walsrode seinen Schrecken. Zeit ist auf einmal relativ. Und bis nach Schneverdingen, diesmal Ziel unserer Reise, ist es sowieso gar nicht mehr weit. Von der Abfahrt Bispingen über Soltau vielleicht noch 20 Kilometer. Weniger als eine halbe Stunde – und wir sind da.
Ende August in voller Blüte
Es ist Freitag, der erste im September, später Nachmittag. Wanderer kehren müde aus der Osterheide zu ihren Autos am Parkplatz an der Heberer Straße zurück. Kutscher versorgen schnell noch ihre Gespanne mit einem letzten Eimer Wasser, ehe es wieder zu den Höfen geht. Schöner kann ein Tag im Spätsommer wohl auch in der Heide kaum sein. Keine Wolke am Himmel. Die Sonne scheint. Es ist warm, nach wie vor fast 30 Grad selbst abends. Kein noch so kleines Lüftchen, kein noch so winziger Hauch. Gleich gegenüber, auf der anderen Seite, quartieren wir uns mitten in der Heide im „Schäferhof“ ein. Schade, dass wir nicht schon etwas früher gekommen sind, Ende August. „Die Heide“, sagt die Bedienung auf der von alten Bäumen umgebenen Freiterrasse des familiengeführten Hauses, „blüht schon langsam wieder ab.“
Die Königin ist gekrönt
Ausgebucht ist Katerina und Christian Glets Naturotel trotzdem. Für dieses Wochenende etwa haben sich ehemalige Besatzungsmitglieder des Schnellboots „Kondor“ mit ihren Frauen angesagt. Und überhaupt ist auch nach dem vergangenen Wochenende, an dem Lisa Schloo in dem Heideblütenstädtchen als neue Heidekönigin 2014/2015 gekrönt worden ist, wieder viel los in Schneverdingen und Umgebung: In Geversdorf zum Beispiel findet das Kreisschützenfest statt, im Soltauer Böhmepark schließt ein Höhenfeuerwerk das Lichterfest ab und die Schneverdinger selbst haben einen Flohmarkt vorbereitet – „Kinder mit Spielzeug auf einer Decke“, heißt es in den Soltauer Nachrichten, „stehen umsonst.“
In der Dämmerung durchs Moor
Nur ein paar Meter vom „Schäferhof“ entfernt fängt das Pietzmoor an, eine der „wichtigsten Sehenswürdigkeiten hier in der Heide“, hat uns Britta Zesch von der Tourismus-Organisation vorher wissen lassen. Es liegt am Südrand des Naturschutzgebietes, breitet sich auf einer Fläche von 2,5 Quadratkilometern aus. Muldenlage und wasserundurchlässige Tonschichten im Untergrund haben seine Entstehung begünstigt. „Es schreibt eine über 8000 Jahre alte Naturgeschichte“, betont Zesch, „und ist vor allem in den frühen Morgenstunden oder in der Abenddämmerung ein faszinierender Ort.“ Dank Renaturierung könne das Moor nun sogar wieder wachsen und als „Geschichtsbuch der Natur“ erhalten bleiben.
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So still kann Stille sein
Wir spazieren noch kurz vor dem Dunkelwerden los. Meist sind es Bohlenstege, die fünf Kilometer durch das Hochmoor führen. Am Ufer eines kleinen Sees balanciert eine Spitzmaus vorsichtig einen dünnen Pflanzenstengel hinauf. Mystisch spiegelt sich der Mond auf der glatten Oberfläche des Gewässers. So still kann Stille sein! Jede Jahreszeit vermittelt einen ganz anderen Eindruck dort, deutet „Schäferhof“-Betreiber Christian Glet am nächsten Tag beim Heidegespräch an, verweist auf die Wollgrasblüte im Frühling, auf den Sommer, wenn sich die Kreuzotter in der Sonne wärmt, den Herbst, wenn Nebelschwaden geheimnisvoll über die moorigen Flächen wabern, den Winter, wenn Schnee sie bedeckt, auf Glockenheide, Torfmoos und Sonnentau, auf Libellen, Moorfrösche, Birkhühner und Sumpfohreulen. Das Moor lebt!
Heidschnucken-Qualitätswanderweg
Was sie Gästen, die etwas mehr Zeit haben, neben Wanderungen durch Heide und Moor sonst noch empfehlen würde? „Wenn Sie gemütlich einkaufen wollen, fahren Sie einfach nach Lüneburg“, bringt „Schäferhof“-Chefin Katerina Glet am nächsten Morgen Kaffee oder Tee an den Frühstückstisch, schlägt einen Ausflug nach Celle in die alte Residenzstadt mit dem historischen Zentrum vor, wo nach fast 225 Kilometern der inzwischen sogar zertifizierte Heidschnucken-Weg endet, der ab Fischbek bei Hamburg mehr als 30 große und kleine Heideflächen miteinander verbindet. Es gibt den Vogelpark Walsrode, den Heidepark Soltau, den Serengetipark Hodenhagen, den Barfußpark Egestorf, in Bispingen sogar einen „Schneedom“. Und in der Hauptsaison verkehrt der Heideshuttle kostenlos zwischen den wichtigsten Orten der Region.
Von Birken und Wachholder durchzogen
Wir brechen am Vormittag zu einer Wanderung durch die Osterheide auf. Mit uns sind Nordic Walker unterwegs, Radfahrer und Reiter. Erste Gespanne treffen schon wieder auf dem Parkplatz ein. Wir haben zwar vor, das im Osten Schneverdingens an das Stadtgebiet angrenzende und von mittlerweile etwas blasser leuchtenden Violettblüten, dazu von Birken, Kiefern und Wachholder durchzogene Naturschutzgebiet zu Fuß zu erkunden, fragen dennoch einen Kutscher, was er für eine Fahrt für zwei Personen nehmen würde: „45 Euro, aber ich bin bereits bestellt.“
Immer der Nase nach
Ganz in der Nähe soll es einen Schafstall mit Heidschnucken-Herde geben. Wer dorthin will: „Immer der Nase nach“, lautet der Rat, ruhig auch eine Pause am Sylvestersee einzulegen. Kaum zu glauben, dass nach Ende des Zweiten Weltkriegs britische und kanadische Streitkräfte hier fast 50 Jahre lang bis 1994 das einst weitgehend intakte Heideland großflächig verwüstet haben, ehe der Verein Naturschutzpark sich seiner annahm, es nach der Einstellung des militärischen Übungsbetriebs sofort renaturierte und rekultivierte. Die „nahezu utopische Zielsetzung“ damals ist gewesen, wieder eine weiträumige, zusammenhängende Landschaft von Schneverdingen bis zum Wilseder Berg zu schaffen.
„So werden geheime Dinge kund“
Es ist Mittag. Auf der großen „Schäferhof“-Freiterrasse sind fast alle Plätze besetzt. Wo das Areal offen und ohne jegliche Begrenzung in die Heide übergeht, steht auf einem Stein, was der berühmte Natur- und Heimatdichter Hermann Löns (1866-1914), dessen Landschaftsideal die Heide war, einst befand: „Laß Deine Augen offen sein, geschlossen Deinen Mund. Und wandle still, so werden die geheimen Dinge kund.“
Große Verbundenheit unter Heidjern
Christian Glet, beruflich vorher international in der Tourismus- und Hotelbranche unterwegs, kann das nachvollziehen, denkt über den auch in Zukunft notwendigen nachhaltigen Schutz der Heide und über die Heidjer nach, von denen er selbst, geboren in Insel bei Schneverdingen, einer ist: „Verbundenheit und Gastfreundschaft auf dem Land sind groß, man kümmert sich noch, hilft sich untereinander – und wen Heidjer einmal ins Herz geschlossen haben, dem stehen alle Türen offen.“
Zum Wilseder Berg
Wie Christian Glet hat uns am Morgen beim Frühstück im „Schäferhof“ auch ein älteres Ehepaar am Nachbartisch auf den Wilseder Berg aufmerksam gemacht: „Sehr touristisch zwar, aber Sie sollten es sich auf jeden Fall ansehen.“ Von Schneverdingen ist es mit dem Auto eine gute halbe Stunde bis Undeloh, von wo aus es nur noch zu Fuß, per Fahrrad oder per Pferdegespann über holprige Steine und durch weichen Heidesand weitergeht. Am Samstag herrscht nachmittags Hochbetrieb.
„Los, Kleiner Onkel, los“
Bis zu 40 Kutschen sollen allein hier im Einsatz sein. Die einen kommen, die anderen machen sich, wenn genug Gäste da sind, gleich wieder auf den Weg. Am Himmel über der Heide braut sich derweil was zusammen. Dunkle Wolken ziehen auf. „Das regnet schon nicht“, sagt Kutscher Markus vom Kutschereibetrieb Brunkhorst im Undeloher Hof in Undeloh (www.undeloher-hof.de), der auf dem Kutschbock sitzt und den Pferden das Signal zum Aufbruch gibt. „Los, Kleiner Onkel! Los, Maria, los!“
In der Kutsche zum Museumsdorf
Der gepunktete Schimmel, der nicht nur so aussieht wie der in den „Pippi Langstrumpf“-Kindergeschichten, sondern auch noch so heißt, und die schwarze Stute ziehen an, trotten und traben die über vier Kilometer lange Strecke zu der kleinen Siedlung am Fuß der mit 169 Metern höchsten Erhebung der Heide hin und zurück, erst gemächlich, dann flotter. Früher, erzählt Markus, sei schon einmal mehr hier los gewesen. „Das war die Zeit kurz nach der Wende.“ Bei Wilsede selbst handelt es sich um ein Museumsdorf mit drei Restaurationsbetrieben und vielleicht 30 Einwohnern. Südlich davon erstreckt sich mit dem Totengrund eines der schönsten Heidetäler mit bis zu 40 Meter hohen, mit Heidekraut und Wachholderbüschen bewachsenen Flanken. Es soll 1909, entstanden auf Initiative von Heidepastor Wilhelm Bode, das erstes Naturschutzgebiet in Deutschland gewesen sein. Auch Christian Glet vom „Schäferhof“ in Schneverdingen nennt die Gegend hier „eigentlich das Herz der Heide“.
Wundersame Entschleunigung
Für Besucher hat er neben der größten Mühlensammlung Europas in Gifhorn mit dem Landschaftspark Iserhatsche in Bispingen jedoch noch einen persönlichen Tipp parat. Der Name geht auf ein Kosewort zurück, was im Plattdeutschen soviel wie Eisenherzchen heißt. So nannte die Mutter des ersten Grundstückkäufers jedenfalls, so ist zu lesen, ihren Sohn. Der heutige Besitzer hat die vorhandene Jagdvilla demnach umbauen, ein Biedermeier- und Diana-Sanssouci-Zimmer einrichten und auf dem Gelände in Miniaturdarstelllung ein kleines Montagnetto-Schloss im italienischen Stil bauen lassen, unter anderem mit Brotbackgrotte und weit über 100 Sammlungen mit zahlreichen Guinness-Weltrekorden. Die Glocken an der eisernen Eberesche im philosopischen Barockpark stehen für jedes Lebensjahr des Eigentümers. Ein wundersamer Ort – ebenfalls zur Entschleunigung.
Info Lüneburger Heide I
Die Lüneburger Heide erstreckt sich im Nordosten Niedersachsens im Dreieck Hamburg-Bremen-Hannover. Typisch für die von Heidschnucken offengehaltenen, meist weiträumigen Naturflächen ist der Bewuchs mit Heidekraut, Birken, Kiefern und Wachholder. Es gibt Moore, kleinere Flüsse und Seen. Der Naturpark selbst ist 1070 Quadratkilometer groß. Zu ihm gehören 35 Gemeinden. Etwa 90 000 Einwohner leben dort. Die Lüneburger Heide unterteilt sich in die Hohe Heide, die Nord-, Süd- und Ostheide. Wichtige Städte und Kreise, über die sie sich erstreckt, sind neben Lüneburg noch Bad Fallingbostel, Celle, Gifhorn, Heidekreis, Munster, Uelzen und Lüchow-Danneberg. Das Ziel unserer Reise dieses Mal, Schneverdingen, zählt rund 19 000 Einwohner. Es haben sich in Ebstorf, Isenhagen, Lüne, Medingen, Wienhausen und Walsrode noch sechs mittelalterliche Klöster erhalten. In Bergen-Belsen befindet sich die Gedenkstätte eines Konzentrationslagers aus der NS-Zeit.
Info Lüneburger Heide II
Die Winter in der Heide sind eher mild, die Sommer in der Regel nicht ganz so heiß. Eine große Rolle in der gesamten Region spielt der Tourismus mit zuletzt etwa 2,5 Millionen Gästen pro Jahr und weit über fünf Millionen Übernachtungen. Rund 1600 Beherbergungsbetriebe sind registriert. Wir waren in Schneverdingen im „Schäferhof“ (Naturotel, 21 Zimmer/Suiten, mitten in der Heide gelegen, traditionelle Fachwerk-Architektur, Einrichtung im gemütlichen Landhaus-Stil, regionale Küche, www.hotel-schaeferhof.com) untergebracht. Kulinarisch geht es weniger schwer zu, als man denkt. Neben traditionellem Heidschnuckenbraten sind Heidekartoffeln, -spargel, Wild, Stint, Forelle, Heidehonig-Parfait, Buchweizenpfannkuchen, Schnuckenbräu und Heideküsschen-Schnaps Spezialitäten. Information: Lüneburger Heide GmbH, Wallstraße 4, 21335 Lüneburg, Telefon 04131-3090, www.lueneburger-heide.de.
Service Auto
Gleich über drei verschiedene Autobahnen – A7, A27, A39 – und mehrere Bundesstraßen wie B3, B71 und B440 ist die Lüneburger Heide überregional sehr gut angebunden. Rund 75 Kilometer sind es von Hamburg bis nach Schneverdingen, etwas mehr als 110 von Hannover, rund 80 von Bremen. Die Strecke von der Heideblütenstadt nach Lüneburg ist 54, die nach Celle 65 Kilometer lang. Wer anderweitig oder von weiter weg anreisen will: Schneverdingen ist Bahnstation, die größeren Flughäfen in der Nähe sind Hamburg, Bremen und Hannover.
KoCom/Fotos: Günther Koch
26. September 2014