Pa-hay-okee
Ein Streizug durch die Everglades in Florida über den "Fluss aus Gras", wie die Indianer ihn nannten
Mit Luftpropellerantrieb: Airboat im Everglades Safari Park. Fotos: Koch
Miami – Das war damals nicht ohne! Die Ölkatastrophe im Golf von Mexiko hat auch die West- und Südküste von Florida bedroht. Nicht auszudenken, was gewesen wäre, wenn sie zuletzt auch noch dieses empfindliche Ökosystem in Mitleidenschaft gezogen hätte, dessen Name sich so mit diesem Sonnenstaat in den USA verbindet: Everglades.
Noch vor dem Rückflug
Der Morgen beginnt trist. Es regnet. Wir haben noch etwas Zeit. Der Flieger zurück nach Deutschland geht erst am späten Nachmittag. Es müsste reichen für einen Abstecher in das Feuchtgebiet, über das uns ein engagierter Umweltschützer zuvor noch erzählt hat, es sei längst nicht mehr nur durch tropische Wirbelstürme, sondern ebenfalls durch Wasserentnahme und zunehmend durch Umweltverschmutzung bedroht.
Einzigartiges Naturparadies
Keine schönen Aussichten. Gut, dass damals nicht auch die „Pest des schwarzen Goldes“ zugeschlagen hat! Das einzigartige Naturparadies soll leben. Von Bal Harbour im Norden Miamis fahren wir durch South Beach an der Küste des Atlantiks entlang bis in Höhe von Key Biscayne, biegen dann Richtung Westen ab und fahren einfach schnurgeradeaus.
Im Dade County
Nach vielleicht eine dreiviertel Stunde sind wir da. Die erste Abfahrt, die wir nehmen, ist falsch. Sie führt uns – wir sind bekanntlich im Land der auch privaten Waffenhelden – offensichtlich auf einen Schießübungsplatz. Als wir auf dem Parkplatz davor wenigstens das originelle, brüchige Schild an einem noch brüchigeren, alten US-Oldtimer fotografieren wollen, sollten wir doch lieber gehen. Auf grünem Grund sind auf dem Schild sechs gelbe Bananen in zwei jeweils nach außen sich biegenden Dreier-Blocks zu sehen, darüber in weißer Schrift „Banana Republic“ und darunter kreisrund um eine von einem dicken Seil umgebene Palme „The Republic of Miami – Established 2000 – Dade Co (Abkürzung für County, Anmerkung der Redaktion), Florida“.
Grüner Alligator mit Tomahawk
Die nächste Abfahrt stimmt. „Everglades Safari Park“ steht in großen Lettern auf braunem Holz. Ein grüner Alligator schlendert, offensichtlich mit einer Art Tomahawk-Streitaxt an der Seite, durch die Szenerie und auf einen mit indianischen Verzierungen versehenen Marterpfahl zu.
Im Land der Seminolen-Indianer
„Keine Angst“, sagt Eddy Miranda, „dass hat nichts zu bedeuten – außer, dass Sie sich hier im Land der Seminolen-Indianer befinden und dass Sie vielleicht doch etwas aufpassen sollten, weil die Everglades wohl die einzige Region auf der Erde sind, in der sowohl Alligatoren als auch Krokodile leben, in der es sogar Schwarzbären oder Pumas gibt.“
Im propellerangetriebenen Airboat
Der Mann mit Baseballkappe, Sonnenbrille (trotz Regen) und Army-ähnlicher Schutzjacke, allerdings mit herbstbraunen Blättern drauf, wirft nach kurzer Einweisung hoch über uns sitzend den Motor seines propellerangetriebenen Wasserfahrzeugs an, wegen der am Heck montierten überdimensionalen Luftantriebsschraube hier auch Airboat genannt. Noch eine kurze Prüfung des Luftruders, das zur Lenkung dient, und es geht los. Durch freiere Haupt- und verschlungenere Nebenkanäle. An meterhohen Schilfgräsern vorbei, aufgelockert durch mit Kiefern, immergrünen Palmen, gelegentlich Zypressen, Mahagoni- oder Gumbo-Limbo-Bäume bestandene Inseln, den Hammocks.
Feuchtgebiet bleibt Feuchtgebiet
Der Regen peitscht ins Gesicht. Der Fahrtwind fegt ständig die Kapuze unseres ärmellosen Plastikumhangs vom Kopf. Keine Chance, trocken durch die Everglades zu kommen. Irgendwann ist es sowieso egal. Feuchtgebiet ist eben Feuchtgebiet. Das Luftboot wird nach einer letzten rasanten Kurve plötzlich langsamer, Eddy stoppt den Motor. Stille rundherum. Zeit, um mit Falschdarstellungen aufzuräumen, mit Beschreibungen wie Sumpf, stehendes Gewässer oder See. „Denn eigentlich“, betont der Everglades-Mann, „ist das alles hier ein einziger, großer Fluss, von der Ausdehnung her sogar der größte der Welt.“
Unendlich langsame Wasserader
Bis zu 80 Kilometer breit sei diese unendlich langsame Wasserader, oft nur wenige Zentimeter tief, vielleicht zehn bis maximal 35 Zentimeter, und fast komplett von Gras bewachsen. Pa-hay-okee hätten die Indianer dieses Gebiet früher genannt, „Fluss aus Grass“ oder, noch poetischer und eine Stufe höher, „Meer aus Gras“.
Noch Flamingos, die wild leben
Es geht weiter. Kormorane fliegen auf, Reiher, Ibisse, Störche. Watvögel schreiten durch die weniger bewachsenen Uferzonen. In den Everglades soll es die einzigen noch wirklich wildlebenden Flamingos in den USA geben. Insgesamt rund 350 verschiedene Vogel-, 300 Süß- und Salzwasserfisch-, 40 Säugetier- und 50 Reptilienarten, lesen wir später, sind demnach für die gesamte Flusslandschaft hier nachgewiesen.
Spitzkrokodil beim Mittagsmahl
Der Regen hat aufgehört. Die Sonne bricht durch die Wolken. „Da“, deutet Eddy kurz vorm Festmachen am Landungssteg auf eine kleine Sandbucht in einem Nebenkanal auf ein Spitzkrokodil beim Mittagsmahl: „Schade, den armen Reiher hat’s erwischt!“ Es ist nicht weit bis zum Ausgang des Parks. Noch ein Foto vom Airboat, wie es da in einem Meer aus grünen Pflanzenblättern liegt. „Schauen Sie mal, was da fast vor Ihren Füßen ans Ufer kriecht!“ Ein Alligator. Einfach so. Vollkommen frei. Zwei, drei Meter nur, aber immerhin. „Ich hab’s doch gesagt“, ruft der Everglades-Mann: „Sie müssen aufpassen hier!“
Info Everglades I
Die Everglades vom Lake Okeechobee bis an die äußerste Südspitze der Halbinsel von Florida sind ein tropisches Marschland etwa so groß wie Belgien. Rund 6000 Quadratkilometer des schon seit 1979 zum Weltkulturerbe gehörenden Feuchtgebietes sind vom Tamiami Trail bis zur Mangrovenküste als Nationalpark geschützt. Von Miami aus sind die Everglades je nach Zugangsort maximal in einer Stunde erreichbar. Einzige Straßenverbindung in den Park ist die von Florida City rund 60 Kilometer südwestlich nach Flamingo. Der Everglades Safari Park, in dem wir uns aufgehalten haben, liegt etwa 50 Kilometer westlich von Miami. Erwachsene zahlen dort über 20, Kinder ab fünf bis elf Jahren rund zehn Dollar Eintritt. Beste Reisezeiten sind die frühlingshaft-warmen Monate von Mitte Dezember bis Ende Apri, ab Mai wird es heiß, die Luft feucht - und die Moskitosaison beginnt.
Info Everglades II
Wir waren in Bal Harbour bei Miami im One Resort & Spa (fünf Sterne, Boutique-Hochhaushotel, 124 Zimmer/Suiten, klassisch-zeitgenössischer Stil, lebhafte Atmosphäre, am Atlantik, www.oneluxuryhotels.com) untergebracht. Die wegen des allgegenwärtigen Wassers oft leichte Fisch/Meeresfrüchte-Küche Floridas hat teilweise hispanischen Einfluss. Getrunken wird nicht selten Bier, auch weil es gut zu den genauso hier erhältlichen großen Steaks und Burgern passt. Information: Visit USA Commitee Germany, Thalkirchner Straße 14, 80337 München, www.vusa.travel.
Service Auto I
Der Everglades Nationalpark liegt etwa 100 Kilometer südwestlich von Miami. Am besten fährt man südlich über Coral Gables, Kendall, Cutler Bay, Naranja und Homestad aus der Stadt heraus und folgt oberhalb der Southern Glades dann der Main Park Road Richtung Südwesten, um schließlich die Everglades rund um die Whitewater Bay zu erreichen. Die Verkehrsregeln in den USA sind teils etwas unterschiedlich. Einheitlich ist jedoch, dass Fahren unter Alkoholeinfluss absolut verboten ist. Wo an einer Kreuzung vier gleichberechtigte Straßen aufeinander treffen, hat immer der Vorfahrt, der die Kreuzung als Erster erreicht. Es gibt Ampelkreuzungen, an denen man, wenn es der Verkehr zulässt, rechts abbiegen darf, auch wenn die Geradeausfahrenden Rot haben.
Service Auto II
In geschlossenen Ortschaften darf nicht schneller als 20 bis 30 Meilen pro Stunden gefahren werden, außerhalb sind 50 bis 70 erlaubt. Mietwagen sollten schon vom Heimatland aus reserviert werden. Darauf zu achten ist, dass in jedem Fall eine Unfall- und eine Diebstahl-Schadensversicherung im Preis enthalten sind, sonst kann es im Falle eines Falles teuer werden. Der Fahrer muss mindestens 21 Jahre alt sein. Bei Abholung des Wagens sind Pass und Führerschein vorzulegen.
Life-Magazin/Günther Koch/KoCom/Fotos: Koch
19. April 2015