Alte Zeiten
Deutschland ist schön: Im Taunus / Freilichtmuseum Hessenpark weckt nicht selten Erinnerungen an früher
Von Günther Koch/Life-Magazin
Nachbau, Wiederaufbau: Häuser, hier Altstadtzeile auf dem Hessenpark-Marktplatz, erzählen Geschichte. Fotos: Koch
Neu-Anspach – Ein ganzes Bundesland in einem einzigen Park: Mehr als 100 historische Gebäude, meist Fachwerk, erzählen Geschichte(n) aus dem dörflichen Alltagsleben vergangener Jahrhunderte. Wir sind im Hessenpark.
Wirtshaus „Zum Adler“ und Fachwerkgebäude mit schmuckem Goldausleger.
Ländlich geprägt
Eine kleine Stadt im Taunus. 14 500 Einwohner. Vier Stadtteile. 300 bis 400 Meter hoch in einer weiträumigen Senke des Usatals gelegen. Gleich sieben Bäche fließen durch die einst landwirtschaftlich und kleingewerblich geprägte Region, in der sich mittlerweile auch Handels-, Dienstleistungs- und Mittelstandsbetriebe angesiedelt haben. Zur Arbeit aber pendeln Bewohner und Bewohnerinnen meist ins Rhein-Main-Gebiet. Touristisch bekannt sind der Freizeitpark Lochmühle im Nachbarort Wehrheim, das Römerkastell Saalburg bei Bad Homburg, das Naturschutzgebiet Grünwiesenweiher nahe Hausen-Arnsbach – und eben das Freilichtmuseum Hessenpark. Willkommen in Neu-Anspach!
Gedanken zum Goldschmiede-Handwerk. Durch die Einfahrt geht’s zum Hof hinten.
Die Glockenanekdote
Kirchenglocken läuten. Täglich um 11 Uhr sollen sie daran erinnern, dass sich Schultheiß Johannes Paul Löw einst während des 30-jährigen Krieges mutig zurück in sein belagertes Anspach, damals noch eigenständig, geschlichen hat, um nach seinen verborgenen Schätzen zu schauen. Als er feststellt, dass diese offenbar noch da sind, das Dorf sogar frei von feindlichen Truppen ist, beginnt er angeblich noch am selben Vormittag die Glocken zu läuten. Kein Wunder, dass Glocken im Anspacher Wappen enthalten sind – und zumindest thematisch deshalb auch im Hessenpark nicht fehlen dürfen.
Der Leiterwagen hat Strohballen geladen. Ziegen im Archepark hinterm Gatterzaun.
Im Tal des Erlenbachs
Es ist Sonntag, der Tag danach ein Feiertag. Noch kein hitzig-heißer Hochsommer, sondern angenehm frühlingshaft mit Temperaturen um die 20 Grad. Wir sind zuerst zu Fuß hinauf zur Spitze des rund 880 Meter hohen Großen Feldbergs gewandert, um danach über Schmitten in den Stahlnhainer Grund ins Erlenbachtal zu fahren. Auf den Parkplätzen draußen vor dem Freilichtmuseum ist schon ganz schön was los. Nur wenige Plätze sind noch frei. So hat auch der Eisverkäufer dort bereits einiges zu tun in seinem bunten Eismobil, das ziemlich günstig auf direktem Weg zum Eingang parkt.
Zur Fachwerkkapelle Niederhörlen gehört auch der kleine Friedhof gleich daneben.
Traditionen bewahren
Im Park selbst geht es um alte Häuser, die an ihrem ursprünglichen Standort aus unterschiedlichsten Gründen nicht mehr zu halten waren und es lohnten, erst zerlegt, dann im Hessenpark zwischengelagert, dort wiederaufgebaut und damit gesichert zu werden. Es geht ums Bewahren traditioneller Bau- und Handwerkstechniken vom Töpfern übers Besenbinden, Seile herstellen, Spinnen, Blaufärben, Schmieden, Drechseln und Pfeifenschnitzen bis hin zum Köhlern. Es geht ums Erhalten und Neuzüchten alter Pflanzensorten und Tierarten. Ums Zeigen und Bewahren alter landwirtschaftlicher Methoden und Flächen wie Waldweiden. Neben gastronomischen Einrichtungen und Veranstaltungsmöglichkeiten sind Backhaus, Schmiede, Druckerei, Post, Dorfschule, Dorfkirche, Synagoge und Mühle vorhanden. Verschiedene Baugruppen stehen für verschiedene Dorfformen hessischer Regionen; nur die des Hessenpark-Marktplatzes gleich hinter dem Eingang ist regional nicht festgelegt. Im Freilichtmuseum im einzelnen zu sehen sind unter anderem:
Alte Landmaschinen wie dieser Mähdrescher finden sich und an Gebäuden oft auch alte Inschriften.
Reihen- und Haufendorf
(Baugruppe Marktplatz) Langener Vierröhrenbrunnen. Wirtshaus „Zum Adler“. Gießener Altstadtzeile samt Hotel „Hessenpark“. Dazu Souvenirläden und Geschäfte vom Bäcker, der Brot noch im Steinofen backt, über den Goldschmied und Bürstenmacher bis hin zum Korbflechter. Dauerausstellungen in einzelnen Gebäuden wie der Apotheke zu Themen wie Bierbrauen, Druckerei, Fotografie, Funktechnik, Gusseisen, Pharmazie und – in Hessens Uhrmacherschule mit Sitz im Hessenpark – Uhren. (Baugruppe Mittelhessen) Reihendorf mit Schulreite Münchhausen. Übergang zum Haufendorf, einer für Mittelhessen Mitte des 18. Jahrhunderts typischen Siedlungsform. Häuser aus dem Westerwald, Hintertaunus, dem Gebiet der Dill sowie um Gießen und Marburg. Fachwerkkapelle Niederhörlen. Schul- und Rathaus Frickhofen. Gemeindebackhaus Probbach mit Armenwohnung. Kapelle Lollar, ist für Trauungen nutzbar. Dahinter Freilufttheater.
Die Bockwindmühle setzt einen norddeutschen, die Statue einen kirchlich-religiösen Akzent.
Scheunen und Klause
(Baugruppe Nordhessen) Zehntscheunen-Ensemble Trendelburg aus Gutsgebäude mit Küchentrakt, Stall und Scheunen in Form eines Vierseithofs. Scheune aus Emstal-Sand mit Metzgerei, Apfelweinkelterei, Brennerei und Küferwerkstatt. Gutshof Engelbach Niederaula-Solms. Kirche Kohlgrund. Stallscheune Asterode. Dorfwirtschaft „Martinsklause“ Remsfeld mit regionaltypischer Mischung aus Landwirtschaft und Gewerbe im Stil der 1950er-Jahre. Scheune mit Licher Privatbrauerei-Geschichte. (Baugruppe Osthessen) Wohnstallhaus Sieblos. Hof Mittelkalbach. Stall Oberkalbach. Wegekapelle Weyhers. Bockwindmühle mit kastenförmigem Aufbau aus dem Kreis Peine in Niedersachsen.
Der Boden für die Ernte später ist bereitet. Am kleinen Teich geht es sehr idyllisch zu.
Trimm-Dich und Wein
(Baugruppe Rhein-Main) Ställe. Remisen-Neubau. Trimm-Dich-Pfad hinter der Anspacher Hofanlage mit zehn Stationen nach dem Vorbild der 1970er-Jahre samt Laufstrecke als 800 Meter langer Rundkurs. (Baugruppe Südhessen) Synagoge Groß-Umstadt. Weinberg mit drei Terrassen, drei typischen Rheingauer Riesling-Anbaumethoden wie Pfahl-, Flachbogen-, Drahtrahmenerziehung, jährlicher Lese im Oktober und Kelterung in der Forschungsanstalt Geisenheim. (Baugruppe Werkstätten) Wird vor allem als Bauhof genutzt. Schmiede Selters. Scheune Runkel-Hofen mit Mansarddach. Alte landwirtschaftliche Maschinen. Dauerausstellung über das Herzogtum Nassau, Schwerpunkt Wirtschaftsgeschichte. Und schließlich Schienenanlage für eine Bergwerksbahn, denn: Auch auf dem heutigen Hessenpark-Areal sind früher vor allem Köhlerei und Eisenverhüttung betrieben worden.
Das große Mühlrad dreht sich noch. Ganz in der Nähe waschen Frauen die Wäsche.
Mist und frisches Heu
Im Hessenpark werden, vor allem für Ältere, nicht selten noch Erinnerungen wach: An kühle Kirchenwände. An harte Schulbänke. An das Klappern von Geschirr im Wirtshaus der 1950er-Jahre. Für die Betreibergesellschaft Freilichtmuseum Hessenpark gehört das zur hessischen Alltagsgeschichte früherer Zeiten. Genauso wie das Vorwerkhuhn, das gackert, und das Rhönschaf, das blökt. Wie Goldparmäne, Kaiser Wilhelm und Gewürzluiken als alte Apfel- und Naturpflanzensorten. Wie Feld, Wald, (Streuobst-)Wiese und Nutzgarten als historische Kulturlandschaften. Wie der Geruch von Bohnerwachs, von Mist und frischem Heu. Und klatscht hier nicht irgendwo dahinten tatsächlich noch nasse Wäsche auf blanken Stein?
So sahen Wohnstuben früher aus. Und so Lebensmittelläden mit ihren Sortimenten innen.
Info Taunus
Das in Hessen und Rheinland-Pfalz liegende Mittelgebirge mit dem rund 880 Meter hohen Großen Feldberg als höchster Erhebung gehört als Teil des Rheinischen Schiefergebirges zu den älteren Gebirgen Deutschlands. Die relativ dünne Besiedelung und der Waldreichtum machen den Taunus zu einem beliebten Ausflugsziel in der Rhein-Main-Region. Er ist von Südwest nach Nordost 75 Kilometer lang, von Nordwest nach Südost 35 Kilometer breit, bedeckt rund 2700 Quadratkilometer Fläche. Die Winter sind eher mild, die Sommer kühl. Größere Städte reichen von Wiesbaden, Hofheim, Königstein, Kronberg, Oberursel und Bad Homburg über Bad Nauheim, Butzbach, Wetzlar und Weilburg bis Bad Ems und Lahnstein. Touristisch interessant sind Limes, Burgen, Schlösser, Ruinen, Zoos, Parks, Kuranlagen. Information: Taunus-Informationszentrum, Hohemarkstraße 192, 61440 Oberursel, Telefon 06171-50780, https://taunus.info.
Klar, dass das Maggi-Schild draußen nicht fehlen darf. Auch Glocken spielen eine Rolle.
Info Hessenpark
Das 65 Hektar große Freilichtmuseum ist 1974 gegründet, 1978 offiziell eröffnet worden. Neben den über 100 historischen Gebäuden und Sammlungen mit rund 2000 Objekten gehört etwa auch ein Archepark mit mehr als 100 Nutztieren dazu. Der Hessenpark ist von März bis Oktober täglich von 9 bis 18 Uhr geöffnet, von November bis Februar samstags, sonntags und feiertags von 10 bis 17 Uhr. Erwachsene zahlen 11, Familien mit bis zu 4 Kindern 22 Euro. Information: Freilichtmuseum Hessenpark, Laubweg 5, 61267 Neu-Anspach, Telefon 06081-5880, www.hessenpark.de.
Frauen in Tracht in der Kirche. Fachwerk lässt sich auch für Künstlerisches nutzen.
Service Anreise
Der Hessenpark ist autobahnmäßig über die überregionale A5 und die regionale A661 ganz gut angebunden. Ab Frankfurt/Main sind es mit dem Auto 30, ab Gießen 40 Minuten. Bus und Bahn verkehren ab Bad Homburg bis Wehrheim oder Neu-Anspach Bahnhof. Ab Wehrheim führt die Buslinie 64, ab Neu-Anspach Bahnhof die Buslinie 63 weiter. Der Name der Haltestelle lautet jeweils „Hessenpark“. An Wochenenden und Feiertagen bietet sich die Buslinie 5 von Bad Homburg/Gonzenheim und Bad Homburg/Bahnhof an. Mit dem Fahrrad sind es ab Bad Homburg Mitte 13 Kilometer.
KoCom/Fotos: Günther Koch
3. August 2023