Dienstag, 23. April 2024

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Gute Reise!

"Eine Dame lebt in Venedig, / die ist mit achtzig noch ledig. / Sie beklagt sich nicht, / sie lächelt und spricht: / „Vielleicht war das Schicksal mir gnädig.“

Die Limericks, die Sie an dieser Stelle immer lesen, stammen alle von Ole Haldrup. Sein „Buch der Limericks“ (2003), dazu „Lirum, Larum, Limerick“ (2004) und „Das Geheimnis der fünften Zeile" (2007) sind zu beziehen über: Nereus-Verlag, Susanne Happle, Johann-von-Werth-Straße 6, 79100 Freiburg, Telefon 0761-403802, nereus-verlag @gmx.de. (gk)

Erst die Augen

Russland, Kasachstan, Russland, Marburg: Lucia Langes lange Reise zur großformatigen Kunst

Von Günther Koch/Life-Magazin

Malende Lehrerin: Lucia Lange lebt schon seit 1993 in Deutschland. Fotos: Rainer Waldinger

Marburg/Cappel – Ein kleiner Junge. Er hat Geburtstag, soll ein besonderes Geschenk bekommen. Ein Großporträt. Nur das Gesicht. Schwarzweiß. 105,5 mal 99,5 Zentimeter. Acryl auf Leinwand. Ausgeführt in Spachteltechnik. Lucia Lange, 1970 im russischen Michailowka geboren, 1993 über Almaty in Kasachstan und über Moskau nach Deutschland gekommen, fertigt es an. Ob ihr der Kunstunterricht damals in der Schule Spaß gemacht hat? „Ja, sehr“, sagt Lange, die in Cappel bei Marburg wohnt. Und welche Note sie, die heutige Gymnasiallehrerin, in dem Fach gehabt hat? Klar dürfte die Frage überflüssig gewesen sein. Sehr gut. „Eine Eins.“

Die Spachtelmasse wird angerührt. Dann fängt es mit den Augen an.

Selbst Deutsch gelernt

Anfang der 1990er-Jahre. Ausreisegründe habe es damals einige gegeben, erinnert sich Lange. Sie hätten von der Angst vor Abschiebung ihres früheren Mannes, eines Afghanen, der Humanmedizin studiert hatte, über die Gefahr für dessen Leib und Leben bis hin zur Tatsache gereicht, „dass sowohl seine als auch meine Familie bereits in Deutschland wohnten“. Mit dem Flieger sei es nach Frankfurt/Main gegangen. Der Anfang danach in Marburg sei eigentlich gar nicht so schwer gewesen, allerdings habe man 1993 keinen Sprachkurs besuchen können, da es nicht genügend Lehrkräfte für Deutsch als Fremdsprache gegeben habe und man deshalb sechs Monate auf einen Sprachkurs habe warten müssen. „Wir haben dann selbst Deutsch gelernt – und ich wusste auch wie, da ich in Almaty bereits Englisch und Französisch auf Lehramt studiert hatte.“ Zusätzlich hätten ein Privatlehrer und eine Diakonieschwester sie einmal in der Woche unterrichtet.

Beispiel I für ein Großformat-Porträt. Die Spachtelmesser müssen sauber sein.

Sonst wäre es schwerer gefallen

Um bei Französisch nicht aus der Übung zu kommen, erzählt Lange, die neben ihrer afghanischen auch über eine deutsche Staatsbürgerschaft verfügt, habe sie an der Volkshochschule einen entsprechenden Kurs besucht. „Als die anderen Kursteilnehmer erfahren hatten, dass mein damaliger Mann und ich keinen Deutschkurs besuchen konnten, haben sie zusammen für uns eine Deutschnachhilfe, eine Germanistikstudentin, bezahlt.“ Ihr persönlich habe es sehr geholfen, „dass ich vor Deutsch schon zwei Fremdsprachen gelernt hatte“. Vor allem die „Motivation, schnell und gut die deutsche Sprache zu lernen“, dann die Verwandten, die Schwestern der Diakonie, dass man in Marburg gewesen sei, nach einem Jahr Deutschlernen habe zu studieren anfangen können, hätten bei der Eingliederung geholfen. „Wären wir nicht in Marburg gewesen, sondern in einem Ort ohne Universität, wäre es uns sicher schwerer gefallen, unser Studium fortzusetzen.“

Gleich geht’s los. Beispiel II für ein (Audrey-Hepburn-)Großformat-Porträt.

Andere studentische Feierkultur

Welche Unterschiede sie generell zwischen Russland/Kasachstan und Deutschland/Marburg festgestellt habe? Mehr Selbstverantwortung beim Lernen während des Studiums hier, zählt Lange auf. Die Ordnungsbehörden funktionierten besser. Es gebe keine Korruption. Die Menschen in öffentlichen Institutionen etwa, in Geschäften oder Praxen seien freundlicher und verlässlicher. Es herrsche zudem eine andere Feierkultur bei Studenten: „In Russland oder Kasachstan wird mit Tanzmusik gefeiert und dementsprechend viel getanzt, deutsche Partys hingegen bestehen darin, dass man sich mit seinem Sitznachbarn unterhält und dabei Bier trinkt.“ Auch seien die Small Talks unterschiedlich. In Deutschland beschwere man sich meist über das Wetter oder die Arbeit, unterhalte sich manchmal über Fußball. „In Russland oder Kasachstan sind solche Gespräche viel länger und beinhalten mitunter die intimsten Details aus dem alltäglichen Leben.“

Beispiel III für ein Großformat-Porträt. Manchmal geht‘s auch weg von Personen.

Bereits der Vater ist künstlerisch begabt

Schon als Lucia etwa zehn Jahre alt gewesen ist, hat sie nach eigenen Angaben gemerkt, dass ihr das Zeichnen und Malen liegt. „Mein Vater war künstlerisch begabt, was das betrifft.“ Wie sich diese Neigung in der Folge weiterentwickelt hat? „Durch die entsprechende Gestaltung der Schule, durch Bilder als Geschenke“, zählt die 52-Jährige auf, die als Technik heute Aquarell, Acryl, Spachteltechnik mit Acrylfarben und Spachtelmasse verwendet. Das Kreative scheint sich auch sonst in ihrem Leben und Alltag auszudrücken. „Ich denke“, sagt die Frau mit den kurzen Haaren, die oft Ausstellungen besucht und Mitglied im Marburger Kunstverein ist, „ich kleide mich modebewusst, versuche, Farben stilvoll zu kombinieren.“

Lange-Werk einer sitzenden Frau. Beispiel IV für ein Großformat-Porträt.

Etwas Besonderes, etwas Eigenes der Person

Lange hat sich auf Personendarstellungen spezialisiert. Warum ausgerechnet darauf? Ob es die Menschen sind, die sie faszinieren? „Als ich einmal das Porträt meiner Tochter gemalt habe“, erinnert sich die Mutter von vier Kindern, „hat mir die Beschäftigung mit plastischen Farben Spaß gemacht, sodass ich mich entschied, solche Bilder zu malen, als das Ausstellungsangebot der Marburger Jugendkonflikthilfe dafür kam.“ Ziel sei, so Lange, „Porträts mittels Malmesser einen Abstraktionsgrad zu verleihen und etwas Besonderes, etwas Eigenes der Person zu unterstreichen, die ich male.“ Anhand eines ausdruckvollen, mit Schattierungen versehenen Fotos fertigt Lange mit Kreide vom Gesicht eine Zeichnung auf der vorgefertigten Leinwand an, füllt es mit unterschiedlichen Malmessern von oben nach unten mit den mit Spachtel gemischten Farben aus. „Aber erst male ich Augen, da sie eine der wichtigsten Komponenten im Gesicht sind.“

Beispiel V für ein Großformat-Porträt. Auch farbig kann es manchmal sein, ...

„Wenn ich male, bin ich motiviert“

Als Vorlage dient jeweils ein professionelles, ausdrucksstarkes Foto mit deutlichen Schattierungen oder besonderen Merkmalen wie Hut, Brille, Schmuck oder Gegenständen, das die „interessanten Aspekte des Gesichts“ zeigt. Daneben setzt Lange als Motive auch Landschaften, Formen und Ganzkörperporträts um. Auf die Frage, wie schwer es fällt, Beruf und Malerei miteinander zu verbinden, deutet die Lehrerin, die sich in Marburg im Ehrenamt auch noch kommunalpolitisch engagiert, an, leicht sei es, zumal als alleinerziehende Mutter, natürlich nicht. Aber: „Alles ist eine Frage der Motivation, male ich, bin ich motiviert, die Arbeit läuft dann wie von selbst.“

... entweder von vorn oder mit Seitenblick. Und so sieht sich Lucia Lange selbst.

Ein spezielles Projekt

Ob es ein spezielles Projekt gibt, das sie künstlerisch gern in Angriff nehmen würde? „Ich möchte gern großformatige Bilder mit menschlichen Körpern in Bewegung, in besonderen Posen oder in besonderer Kleidung malen“, scheint Lange, deren Bilder zuletzt in der Casa del Tennis im Tennisverein 1965 Marburg ausgestellt worden sind, auch bei der Suche nach einem eigenen Haus mit Atelier inzwischen erfolgreich gewesen zu sein. „Weil die Wohnung eben keine ausreichenden Möglichkeiten mehr für das Hobby bietet."

KoCom/Fotos: Rainer Waldinger

16. November 2022