BMW R18
Diesmal im Motorradtest als 91-PS-Classic First Edition
Von Joachim Langner/Life-Magazin
Der BMW-Cruiser R18 ist bei uns im September 2020 auf den Markt gekommen. Fotos: Langner
Seit 1920 entwickelt und baut BMW Boxermotoren, damals noch mit 6,5 PS aus 494 Kubikzentimetern Hubraum. Mit der R18, die wir jetzt als Classic zur Probe gefahren haben, hat der Boxer nun seine bislang höchste Ausbaustufe erreicht. Etwa ein Viertel aller weltweit zugelassen Motorräder über 500 Kubik sind Cruiser in einem Marktsegment, in dem BMW nach einigen wenigen Versuchen nach wie vor nicht sonderlich stark positioniert ist. In den USA, wo die Zulassungen dieser Art von Bikes bei weitem das stärkste Segment stellen, soll die neue R18 nun entsprechend punkten.
Vorn & Hinten
So eindrucksvoll wie die Eckdaten des Triebwerks präsentiert sich das gesamte Motorrad. Mit vollem 16-Liter-Tank bringt die ausschließlich in Schwarz orderbare R18 samt Fahrer 450 Kilo auf die Waage, so dass der hier ebenfalls verbaute Rückwärtsgang sogar manchmal durchaus von Nutzen sein kann. Optisch angelehnt an die legendäre R5 aus dem Jahr 1936 besticht sie durch feinste Verarbeitung und gediegene Bauelemente. Die massiven Bleche sind handliniert. Es gibt viel Chrom und Glanz soweit das Auge reicht. Unter anderem von der verchromten freilaufenden Antriebswelle über polierte obenliegende Stößelrohre bis hin zu Ventildeckel, Kupplungs- und Bremsarmaturen sind immer neue Details zu entdecken.
Blick auf die Modellkennung des klassischen Cruisers mit dem Markenlogo seitlich am Tank.
Motor & Umwelt
Herzstück ist zweifellos der 110 Kilo schwere Aluminiummotor, 1802 Kubik, 91 PS und gewaltige 158 Newtonmeter Drehmoment, übersetzt durch ein Sechsgang-Getriebe mit Einscheiben-Trockenkupplung, Servounterstützung und Anti-Hopping-Funktion inklusive. Das Aggregat darf man getrost als Meilenstein des Motorenbaus bei Motorrädern bezeichnen, sowohl was die Ingenieurskunst als auch den Charakter betrifft. Zwischen 2000 und 4000 Umdrehungen pro Minute liegen immer mindestens 150 Newtonmeter an, mit denen sich schaltfaul fahren lässt. Im vierten Gang durch die Ortschaft segeln, um am Ortsausgang wie am Gummiband gezogen kraftvoll zu beschleunigen – das ist die Domäne dieser BMW. Ihr Getriebe ist exakt bedienbar. Die Anti-Hopping-Kupplung dämpft wirksam die beim Herunterschalten entstehenden Zerrkräfte am Hinterrad. Wer‘s mag, kann den Cruiser in 4,8 Sekunden auf Tempo 100 beschleunigen. Der Vortrieb geht erst bei 181 zu Ende. Die zumindest im Datenblatt so angegebenen 5,6 Liter Mixverbrauch haben wir nach unserem standardisierten Zweiwochen-Test mit normalen Orts-, Landstraßen und spritzigeren Autobahnfahrprofilen nicht ganz erreicht. Am Ende sind es laut Bordcomputer kombiniert aber immer noch akzeptable 6,1 Liter gewesen.
Die beiden Zylinder unten ragen weit raus. Die Bedienelemente liegen gut im Blick. Der Schriftzug „Berlin built“ ...
Dynamik & Sicherheit
Bevorzugtes Revier der R18 sind geschwungene Landstraßen, auf denen sie sich, ohne groß die Gänge zu wechseln, von Kurve zu Kurve schwingen kann. Enge Kehren und/oder unebenes Geläuf mag sie eher weniger, da Federelemente und deutlich eingeschränkte Schräglagenfreiheit sie an ihre Grenzen bringen, das Fahrwerk in Unruhe versetzen und womöglich noch lautes Schraddeln der tief angebrachten Trittbretter zur Vorsicht mahnt. Wer das beherzigt und auf der gewaltigen Drehmomentwelle segelt, hat die R18 verstanden. Ein Old-School-Bike mit modernster, leicht unterstützender Technik und drei Fahrmodi: Road (leicht eingebremst), Rock (dynamisch), Rain (stark heruntergeregelt). In jedem Programm ist die Gasannahme perfekt. Der Modus Road deckt alle Ansprüche zufriedenstellend ab. Federkomfort und Fahrsicherheit sind für diese Spezies Motorrad, die erfahren werden will, mehr als ausreichend. An die Sitzposition wie auch an das starke Abtauchen der vorderen Gabel beim Bremsen muss man sich erst gewöhnen. Durch die sehr breit ausladenden Zylinder können die Fußrasten nicht wie etwa bei den beiden US-amerikanischen Konkurrenten Harley-Davidson oder Indian weiter vorn angebracht werden, so dass sich eine eher aufrechte Sitzposition ergibt, was in den USA, den Markt, auf den der große Boxer in erster Linie abzielt, freilich entscheidendes Kaufkriterium sein dürfte.
... ist gleich zweimal zu sehen, darunter auf dem Tacho. Die Zahl 1800 gibt den Hubraum in Kubikzentimetern an.
Serie und Extras
Unser Testbike ist unter anderem mit Windschild mit LED-Scheinwerfern, Headlight mit Kurvenlichtfunktion, Soziuspaket, zwei 16-Liter-Satteltaschen, Heizgriffen, Tempomat, Rückfahrhilfe, abschließbarem Tankdeckel und mehreren kleineren Motor- und Gabelverkleidungen bestückt gewesen, was die R18 unterm Strich dann über 28 000 Euro teuer gemacht hat. Die Aufpreisliste ist gewohnt lang, umfasst mehr als 50 Teile. Ähnliches gilt fürs Zubehör. Teile wie Auspuffanlagen, Räder, Lampen, Windschilder, Satteltaschen, Lenker, Tempomat, Sitzbänke und einiges mehr werden noch von BMW bedient, wobei Leitungen und Anschlüsse wohlweislich nach dem Plug-&-Play-System konfiguriert sind, um Zubehör leicht und variabel adaptieren zu können. Da Lieferzeiten aufgrund vielleicht unterschätzter initialer Nachfrage doch recht lang sind, stehen für die meisten jetzt georderten Maschinen zur Auslieferung auf dem freien Markt vermutlich zusätzlich Anbauteile zur Verfügung. Nicht unwichtig in diesem Segment, in dem die Individualisierbarkeit des Bikes doch eine große Rolle spielt.
So sieht die schwere R18 von der Seite aus. Die beiden Satteltaschen hier fassen jeweils 16 Liter.
Preis & Leistung
Mit 22 800 Euro Anschaffungskosten reiht sich die R18 bei den höherpreisigen Modellen der Mitbewerber ein. Dafür gibt‘s ein gediegenes, solides Motorrad mit gewaltigem Boxer-Alleinstellungsmerkmal in Erstauflage als Gegenwert. Im Zuge der Verbannung der Verbrenner dürfte dieses Bike, speziell dieser Boxer in seiner finalen Ausbaustufe, später ganz sicher auch als Sammlerobjekt zunehmend an Bedeutung gewinnen. Im Umfeld seiner Konkurrenten braucht es sich jedenfalls nicht zu verstecken, auch wenn diese konzeptionell etwas andere Wege gehen. Die R18 ist alles in allem ein Kunstwerk auf Rädern, das stolz den Schriftzug „BERLIN BUILT“ („Gebaut in Berlin“) trägt. Sogar in Großbuchstaben.
Datenblatt
Motor: Zweizylinder-Viertakt-Boxermotor. Hubraum: 1802 Kubikzentimeter. Leistung:67/91 kW/PS bei 4750 Umdrehungen pro Minute. Maximales Drehmoment: 158 Newtonmeter bei 3000 Umdrehungen pro Minute. Beschleunigung: 4,8 Sekunden von 0 auf Tempo 100. Höchstgeschwindigkeit: 181 Stundenkilometer. Umwelt: Testverbrauch 6,1 Liter pro 100 Kilometer, laut weltweitem Motorrad-Testzyklus 129 Gramm Kohlendioxidausstoß pro Kilometer bei angegebenen 5,6 Litern Mixverbrauch. Abgasnorm: Euro-5. Grundpreis: 22 800 Euro.
KoCom/Fotos: Joachim Langner
27. April 2021