Nicht nur Fahrdynamik
Wie wichtig der Motorsport für die Serie ist / Beispiel VW / Beim World Touring Car Cup in Ungarn
Von Peter Bohne und Günther Koch
VW-Test-, Entwicklungs- und Rennfahrer Benjamin Leuchter auf dem Hungaroring am Golf GTI TCR. Fotos: Bohne
Budapest – Der Hungaroring in Ungarn. 1986 eröffnet, knapp 4,4 Kilometer lang, 14 Kurven. Die Formel-1 gastiert dort noch bis mindestens 2026. Diesmal, am letzten Wochenende im April, drehen andere Boliden auf dem am Rande der Gemeinde Mogyoród in der Nähe von Gödöllö nordöstlich der ungarischen Hauptstadt Budapest gelegenen Kurs ihre Runden. Der World Touring Car Cup findet statt. Mit dabei: VW.
Neues Spitzenmodell
Der Golf GTI TCR ist das neue Spitzenmodell, mit dem die Wolfsburger in Ungarn antreten. Das Team von Sébastian Loeb (Frankreich) setzt gleich vier davon ein, die neben Rob Huff (Großbritannien), Mehdi Bennani (Marokko) und dem amtierenden Weltmeister Johan Kristoffersson (Schweden) pilotiert werden – und von Benjamin Leuchter (Deutschland), von dem wir wissen wollen, warum Motorsport so wichtig ist für die Serie. Leuchter kennt sich aus. Der gebürtige Duisburger, Jahrgang 1987, ist nicht nur VW-Markenbotschafter, sondern auch Test-, Entwicklungs- und Rennfahrer, startete 2004 als Sebastian Vettels Teamkollege im BMW-Werksjuniorenteam. Langstreckenmeisterschaft, TCR Germany und TCR International schlossen sich an, wobei die Tourenwagen-Weltmeisterschaft (WTCC) zur Saison 2018 mit der TCR International Series zum FIA-Tourenwagen-Weltcup (WTCR) fusioniert ist und die TCR-Regeln übernommen hat.
Freie Trainings, Qualifyings: Schon vor den eigentlichen Rennen ist viel los, auch an den Boxen.
Von der Rennstrecke auf die Straße
„65 Prozent der Serienteile kommen aus dem Rennsport“, verweist Leuchter auf jüngste Beispiele für Übernahmen von der Rennstrecke auf die Straße in Serien-VW, auf Materialien, Karosseriesteifigkeit, Crashverhalten und Sicherheit. Es beschränke sich keinesfalls nur auf fahrdynamische Komponenten, sondern etwa auch auf die Sicherheit der Fahrgastzelle. Doch nicht nur in Richtung Sicherheit und Fahrdynamik, ebenfalls in Richtung Wirtschaftlichkeit könne es diesbezüglich in Zukunft noch gehen. Bei der Frage, welche im Motorsport jetzt schon vorhandenen Möglichkeiten es gibt, um Serienautos künftig noch sicherer zu machen, braucht Leuchter jedenfalls nicht lange zu überlegen, nennt Karosseriesteifigkeit und den Einsatz hochfester Stähle. Und was ist mit dem Thema Sprit? Spielt der möglichst effiziente Umgang damit eigentlich auch im Motorsport eine Rolle? Klar, deutet der Rennfahrer an, hat dabei 24-Stunden-Rennen im Sinn, „denn wer Sprit spart, muss weniger halten, um nachzutanken“.
Das schnelle Wechseln von Rädern ist genauso wichtig wie zügiges, problemloses Tanken
Im Moment noch kein Favorit
Im Rahmen des FIA World Touring Car Cups, der 2019 insgesamt zehn Veranstaltungen auf drei Kontinenten umfasst, stehen nach Ungarn als nächstes im Mai noch die Rennen auf dem Kurs in der Slowakei, auf dem ultraschnellen im niederländischen Zandvoort sowie im Juni auf dem Nürburgring an. Wer am Ende vorn liegt? „Vielleicht 15 Fahrer haben ein Chance“, schätzt Leuchter, sieht im Moment aber noch keinen Favoriten.
Hier ist der Renn-Golf GTI TCR noch aufgeockt. Auch Helm und Rennoverall müssen einwandfrei sitzen.
Mensch und Maschine gefordert
Solche Rennen haben es in sich, reichen jedes Mal vom Briefing über freie Trainings und Qualifyings bis zu den eigentlichen Hauptläufen, von denen auf dem Hungaroring an zwei Tagen gleich drei anstehen. Das fordert Mensch und Maschine. Auch den neuen Renn-Golf, der die Nachfolge des bislang schärfsten GTI-Derivats antritt und für den, der es ambitionierter mag, ab 38 950 Euro zu haben ist. Der Namenszusatz TCR verweist auf die Rennserie, für die VW eine Kundensportversion des GTI mit 350 PS baut. Mit dem Marktstart der straßenzugelassenen Variante ist übrigens noch im Sommer zu rechnen.
Die Startnummer 33 ist der Wagen von Benjamin Leuchter. Und dann noch eine weitere Absprache in der Box.
Für Technik-Interessierte
Wie der Golf R verfügt der TCR-GTI über zwei zusätzliche Wasserkühler im Frontbereich. Am Heck gibt es eine Schürze mit Diffusoreinsatz und den typischen zwei Endrohren links und rechts. Ein neugestalteter Dachkantenspoiler sorgt für mehr Abtrieb an der Hinterachse. Hinter den 18-, optional 19-Zoll-Leichtmetallrädern ist eine spezifische Bremsanlage mit gelochten Scheiben sowie speziellen Sätteln und Belägen montiert. Die Sportsitze mit exklusivem Polsterdesign sorgen für bestmöglichen Seitenhalt. Serienmäßige mit Doppelkupplungsgetriebe ausgestattet, beschleunigt der TCR-Golf aus dem Stand in 5,6 Sekunden auf Tempo 100. Die Differenzialsperre, im Frontantrieb verbessert Traktion und Handling. Mit Eco, Normal, Sport und Individual stehen vier Fahrprogramm zur Wahl. Im Normalmodus ist man eher komfortabel unterwegs. Das Fahrwerk federt bei moderater Schalteinstellung rückenfreundlich, die Schalteinstellung arbeitet moderat. Selbst im Sportmodus wird die Dämpfung nie unangenehm ruppig.
Kompaktes Kraftpaket
Der bekannte 2,0-Liter-Turbobenziner leistet im GTI TCR 290 PS, ist aber nicht der stärkste Serien-GTI, denn der auf 400 Exemplare limitierte GTI Clubsport S bringt es sogar auf 310. Maximal stellt der Vierzylinder im GTI TCR schon früh ab 1600 über ein relativ breites Band bis 4300 Touren 370 Newtonmeter Drehmoment bereit. Die Elektronik regelt die höchste Geschwindigkeit bei 250 Stundenkilometern automatisch ab. Ist diese Sperre aufgehoben, kann das kompakte Kraftpaket auf Wunsch auch bis zu 264 Stundenkilometer schnell fahren, was neben 19-Zöllern und einem nochmals 20 Millimeter tiefer gelegten Adaptivfahrwerk Teil eines Paketes ist, das VW in die Optionsliste aufnehmen will. Auch für sportlichere Kunden, die bei Rennen nicht gleich um weltmeisterliche Ehren Gas geben wollen.
KoCom/Fotos: Peter Bohne
27. April 2019