Prekäre Verringerung
Continental geht als Reifenhersteller bei seiner jährlicher Winter-Roadshow in die (Profil-)Tiefe
Von Günther Koch/Life-Magazin
In Sachen Reifen kommt es auf ausreichend Profiltiefe an. Foto: Continental
Willingen – Die Fahrsicherheit von Pkw hängt nach Ansicht des Reifenherstellers Continental „in hohem Maße von der Leistungsfähigkeit ihrer Reifen ab“. Je geringer das Restprofil, desto eher neigten die „Schuhe des Autos“ auf nasser Fahrbahn zum Patzen. Längere Bremswege und deutlich steigendes Aquaplaning-Risiko seien die Folge.
Indirekte Reaktion
Im Rahmen ihrer jährlichen Winter-Roadshow diesmal in Willingen im Sauerland – im nahen Werk Korbach werden täglich unter anderem rund 30 000 Sommer- oder Winterreifen für Pkw, Van und SUV produziert – reagierten die Hannoveraner damit jetzt indirekt auch auf eine Long Lasting Performance genannte Initiative von Michelin, mit der die Franzosen herstellerübergreifend nach eigenen Angaben eine Diskussion über die Leistung gefahrener Reifen anstoßen wollen. Hintergrund ist: Laut Michelin gibt es Technologien, mit deren Hilfe Reifen entwickelt und produziert werden können, „so dass diese selbst bei Nässe gut funktionieren – auch bei wenig Restprofil“. Reifen sollten deshalb so entwickelt werden, dass sie „während der gesamten Lebensdauer eine gute Leistung erbringen“, sprechen sich die Franzosen konkret dafür aus, Reifen künftig nicht mehr nur im Neuzustand, sondern auch, wenn sie schon gefahren sind, zu testen.
Drastischer Einbruch
Doch Experten wie Andreas Schlenke, Reifenentwickler bei Continental, sind skeptisch. Realistische eigene Fahrversuche hätten ergeben, dass sich die Bremswege von Reifen verschiedener Hersteller auf nasser Fahrbahn beim Vergleich zwischen einem neuen und einem bis auf zwei Millimeter abgenutzten Reifen im Schnitt um mehr als die Hälfte verlängerten. „Dabei gilt, dass die Übertragung von Bremskräften vom Reifen auf den Asphalt stark von der Höhe des Wasserfilms abhängt.“ Bei Tests auf dem eigenen Contidrom sei festgestellt worden, dass die beim Bremsen übertragenen Kräfte bei einem Wasserfilm von rund drei bis vier Millimetern im Vergleich zu einem von einem bis zwei Millimetern „drastisch einbrechen und sich um rund 100 Prozent verringern“.
Deutliche Folgen
Ebenfalls bei der Neigung zu Aquaplaning habe abnehmende Profiltiefe deutliche Folgen, warnen die Hannoveraner. So seien mit einem Neureifen im Aquaplaning-Becken rund 105 Stundenkilometer Kurvengeschwindigkeit möglich, mit einem auf gut fünf Millimeter reduzierten Profil habe dasselbe Becken noch mit knapp Tempo 100 befahren werden können. „War der Reifen aber auf gut zwei Millimeter Restprofil heruntergefahren, schwamm der Wagen bereits bei 90 Stundenkilometern auf.“
Geringere Leistung
Ähnlich prekär verringerten sich die Leistungen von Winterreifen bei zu geringer Profiltiefe. Bremstests mit Winter- und Ganzjahresreifen belegten, dass sich die Bremswege mit Profiltiefen zwischen knapp zehn und vier Millimetern Profil auf fast 90 Prozent verringerten. Messe man den Bremsweg dann mit einer Profiltiefe von zwei Millimetern, komme der Pneu auf nur noch 75 Prozent der ursprünglichen Leistung. Ähnlich verhielten sich ebenfalls Ganzjahresreifen. Systembedingt könnten sie ohnehin nicht mit dem Grip von Winterreifen aufwarten. Ihre Leistung nehme jedoch zwischen ihrem Neuzustand, vier Millimetern und zwei Millimetern ähnlich der von Winterreifen ab. Die Hannoveraner empfehlen, Sommerreifen mit weniger als drei Millimetern Profiltiefe zu erneuern. Und bei Winter- und Ganzjahresreifen solle, wie in Österreich gesetzlich vorgeschrieben, die Vier-Millimeter-Grenze „Anlass für neue Winterspezialisten“ sein.
Aktuelle Palette
Bei der Veranstaltung in Willingen haben Entwickler Schlenke und Sprecher Klaus Engelhart die aktuellen Pkw-Winterreifen vorgestellt, darunter den TS 860 S für hochmotorisierte Limousinen, für Sportwagen und Oberklasse-SUV, den TS 860 für kleinere und Mittelklasse-Fahrzeuge und den TS 850 P für Pkw und SUV ab der Mittel- bis zur Oberklasse. Bei den Reifen für Vans und Transporter finden sich fünf Sommer-, Ganzjahres- und Winterreifen für unterschiedliche Anforderungen im Programm.
Checkliste vorgelegt
Was Ganzjahresreifen betrifft, die „nicht für alle Ansprüche geeignet“ seien, haben die Hannoveraner eine Checkliste vorgelegt, nach der am Wohnort klimatisch gemäßigte Bedingungen herrschen sollten, im Sommer nicht regelmäßig über plus 25, im Winter nicht regelmäßig unter minus 5 Grad Celsius, das Fahrzeug mit geringerer Laufleistung von rund 5000 Kilometern im Jahr bewegt werde und man, Stichwort städtischer Raum und bessere Infrastruktur, bei plötzlichen starken Wintereinbrüchen auf Bus oder Bahn umsteigen könne. Wer im Urlaub in den sonnigen Süden oder zum Skifahren starte, solle auf Ganzjahresreifen verzichten. Dann seien Sommer- und Winterreifen sicherer. Und bei der Montage der richtigen Pneus sei zudem die Laufleistung höher.
Nur noch mit Schneeflocke
Schlenke und Engelhart verweisen außerdem darauf, dass Winterreifen ohne Schneeflocken-Symbol in Deutschland nicht mehr verkauft werden dürften, alle neu hergestellten Winterreifen seit 1. Januar 2018 dieses Symbol tragen müssten und Reifen ohne das Symbol nach einer Übergangsfrist bei winterlichen Straßenbedingungen verboten seien.
KoCom/Fotos: Continental
9. Oktober 2018